Sayers, Dorothy L. - Wimsey 14 - Feuerwerk
hypnotisiert auf die Damastvorhänge. Es war da eine Stelle, an der sie sich nicht ganz berührten, und das Licht von der Bühne schien hindurch. Jemand rief: »Fertig?« und drehte das Licht im Zuschauerraum aus. Markham konnte die anderen nicht länger sehen, aber er konnte hören, wie sie um ihn herum atmeten und raschelten und ihn wie ein Rudel Wölfe bedrängten. Der Lichtpunkt zwischen den Vorhängen glühte immer noch. Er wurde größer und glühte intensiver, doch wie aus unendlich weiter Ferne. Die Vorhänge teilten sich, ganz langsam und in absolutem Schweigen. Endlich das ganze Wort. Sie hatten es wunderbar inszeniert. Er erkannte jeden Gegenstand, obwohl das grelle Licht der elektrischen Birne irgendwie gedämpft war. Da war das Bett, der Frisiertisch, der Schrank mit seiner hohen Glastür und das niedrige Fenster zur Rechten. Es war heiß, und der Duft des Flieders strömte berauschend vom Garten herein. Die junge Frau auf dem Bett lag im Schlaf. Ihr Gesicht war nicht zu sehen; es war zur Wand gekehrt. Sterbende kehrten das Gesicht immer zur Wand. Traurig, im Juni sterben zu müssen, wenn der Duft des Flieders durch das Fenster kam und die Nachtigall sang. Machten sie das mit einer Vogelpfeife? Oder war es eine Grammophonplatte?
Jemand bewegte sich im Schatten. Er hatte sehr leise die Tür geöffnet. Ein Glas Limonade stand auf dem Tisch neben dem Bett. Es klirrte gegen die Flasche, als er es in die Hand nahm. Aber die Frau rührte sich nicht. Er trat ganz vor, bis er unmittelbar unter der Lampe stand. Sein Kopf war gebeugt, als er das weiße Pulver in das Glas streute und es mit einem Löffel umrührte. Er trat wieder neben das Bett. Jesabel, Adam, Naaman, Elaine. J, A, N, E. Er berührte die Frau an der Schulter, und sie regte sich ein wenig. Mit einem Arm richtete er sie auf und hielt ihr das Glas an die Lippen. Es klirrte wieder, als er es leer auf den Tisch stellte. Er küßte sie. Dann ging er hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
Nie hatte er eine solche Stille gekannt. Nicht einmal das Atmen der Meute konnte er hören. Er war mit der Frau auf dem Bett allein im Zimmer. Und nun regte sie sich. Das Laken glitt ihr von den Schultern zur Brust und von der Brust bis zu den Hüften. Sie kniete sich hin und blickte ihn über das Fußende des Bettes an – goldenes Haar, schweißbedeckte Stirn, die Augen dunkel vor Angst und Schmerz, die schwarze Höhle des Mundes und die glitzernde Reihe weißer Zähne in dem eingesunkenen Mund.
JANE!
Hatte er den Namen gerufen oder die anderen? Der Raum war von Helligkeit und Lärm erfüllt, aber seine Stimme übertönte alles.
»Jane, Jesabel! Ich habe sie getötet. Ich habe sie vergiftet. Jane, Jesabel. Der Doktor hat es nicht gewußt, aber sie wußte es, und er wußte es, und nun wißt ihr es alle. Fort mit euch! Fluch und Verderben über euch! Laßt mich gehen!«
Stühle fielen um, man schrie und griff mit den Händen nach ihm. Er schlug mit der Faust in ein törichtes, gaffendes Gesicht. Dann stand er auf dem Balkon und drängte sich zur Balustrade. Die Lichter auf der Surrey-Seite schimmerten wie große Lampions. Ein Sprung, und das schwarze Wasser raste ihm entgegen. Aufklatschen. Brausen.
Es war alles so schnell geschehen, daß die Schauspieler nichts davon gemerkt hatten. Als Tom Deering sich den Rock auszog, um Markham nachzuspringen, und Mrs. Lester ans Telefon stürzte, um die Flußpolizei zu alarmieren, verkündete Georges Stimme: » Das ganze Wort. « Die Vorhänge rauschten auseinander, und auf der Bühne stand das Zelt von JAEL.
Blutrache
Wenn das in diesem Stile so weiterging, würde John Scales bald ein reicher Mann sein. Schon jetzt war er zu beneiden, wie jeder erraten konnte, der nach acht Uhr am Königstheater vorbeikam. Die alte Florrie, die mit ihrem Streichholztablett schon so viele Jahre an der Ecke gesessen hatte, wußte Bescheid; niemand anders war so gut über das Königstheater orientiert wie sie. Als sie, nach dem furchtbaren Bühnenbrand, den sie mit vernarbtem Gesicht und einem verdorrten Arm überstanden hatte, ihre Laufbahn aufgeben mußte, hatte sie aus Sentimentalität ihren Stand in der Nähe des Theaters errichtet und wachte immer noch wie eine Mutter über sein Wohlergehen. Sie wußte besser als jeder andere, wieviel Geld eingenommen wurde, wann das Haus ausverkauft war, was für Gehälter gezahlt wurden, wieviel von den Einkünften die stehenden Ausgaben verschlangen und wie groß der Anteil des Autors war. Außerdem
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