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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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Landkarte der Verbindungen innerhalb eines sozialen Netzwerkes in Stahl graviert oder in Stein gehauen. Diese Landkarten sehen aus unserer Perspektive so riesig und unveränderbar aus, und wir werden von ihnen mitgerissen wie Staubkörnchen von einem Hurrikan. Aber so muss es nicht sein.«
    Gennadi kam nicht mehr ganz mit, aber Miranda nickte. »Internet-Nationen transzendieren traditionelle Grenzen«, sagte sie. »Man kann in der Äußeren Mongolei leben, aber der nächste Netz-Nachbar kann ein Bewohner von Los Angeles sein. Die alten geographischen Restriktionen sind nicht mehr anwendbar.«
    »Genauso wie Cascadia eine eigene Stadt ist«, sagte Fraction, »obwohl sie angeblich aus Seattle, Portland und Vancouver besteht und angeblich in zwei Nationen existiert.«
    »Gut«, sagte Gennadi leicht verärgert, »also ist Oversatch eine Online-Nation. Und was sonst noch?«
    Fraction zeigte nach oben. In der Realität gab es dort nur schwarzen Himmel, doch in Rivet Couture spalteten die hochaufragenden Türme einer Kathedrale die Wolken. »Die existierenden Online-Nationen kopieren die Langsamkeit der realen Welt«, sagte er. »Sie erschaffen zwar neue Landkarten, aber diese Landkarten sind genauso statisch wie die alten. Diese Kathedrale steht an dieser Stelle, seit das Spiel begann. Niemand wird sie verrücken, weil das die Regeln der Alternativwelt verletzen würde.
    Die Gebäude und Straßen von Oversatch werden in jeder Sekunde neu errichtet und versetzt. Sie bilden keine neue, handgezeichnete Landkarte der Welt, sondern eine dynamisch aktualisierte Karte des Internets. Diese Karte reflektiert, wie die Welt wirklich strukturiert ist, von einem Augenblick auf den anderen. So etwas«, sagte er und schlug mit der Hand gegen die Wand des Wolkenkratzers, an dem sie vorbeiliefen, »lässt man zu Staub zerfallen.«
    Sie hatten die Einmündung einer anderen Gasse erreicht, die in beiden Welten dunkel war. Fraction blieb stehen. »Da wären wir«, sagte er. »Hitchens und seine Jungs sind an dieser Stelle nicht weitergekommen. Sie haben sich im Labyrinth verirrt. Ich weiß, dass Sie bereit sind«, sagte er zu Miranda. »Sie sind es schon seit einer ganzen Weile. Und was Sie betrifft, Gennadi …« Er rieb sich das Kinn – eine weitere Angewohnheit, die keine Spur von Danail Gawrilow an sich hatte. »Ich kann Ihnen nur sagen, dass Sie Oversatch gemeinsam betreten müssen. Einer allein schafft es nicht.«
    Er trat zur Seite, wie ein Jahrmarktschreier, der eine Horde Bauerntölpel in sein Zelt winkte. »Nach Oversatch geht es hier entlang«, sagte er.
    In der Gasse war nichts außer Dunkelheit zu erkennen. Gennadi und Miranda tauschten einen Blick. Dann – nicht gerade Hand in Hand, aber nahe beieinander – traten sie ein.

    Gennadi lag mit geschlossenen Augen da und spürte das langsame Wogen des Schiffes. Ferne Maschinengeräusche ließen die Decks dröhnen, so beständig, dass er sie kaum noch wahrnahm. Er schlief nicht, sondern versuchte sich mit einer gewissen Verzweiflung ins Gedächtnis zu rufen, wo er sich befand – und was von ihm erwartet wurde.
    Es hatte eine Weile gedauert, bis er sich bewusst geworden war, dass nur sechs Wochen vergangen waren, seit er den Interpol-Auftrag angenommen hatte. All seine gewohnten Bezugspunkte waren verschwunden, selbst das übliche Ticken seiner finanztechnischen Uhren, die ihn ansonsten von einem Gehaltsscheck zum nächsten, von einer Rechnung zur nächsten vorantrieben. Er hatte seit Wochen nicht mehr an Geld gedacht, weil er hier in Oversatch keins brauchte.
    Hier in Oversatch … selbst das Wörtchen »hier« war inzwischen nur noch mit Schwierigkeiten zu bestimmen. Das hätte ihm eigentlich schon in der ersten Nacht klar sein sollen, als er und Miranda in eine dunkle Gasse getreten waren und allmählich einen virtuellen Pfad erkannt hatten, der sich schwach vor ihnen abzeichnete. Beide konnten den Pfad sehen und waren ihm gefolgt. Fraction war zurückgeblieben, also sprachen sie über ihn, als sie weitergingen. Und als der Pfad dann auf die erleuchteten Straßen von Stockholm stieß, hatte Gennadi festgestellt, dass Miranda nicht mehr an seiner Seite war. Das hieß, virtuell war sie noch da, aber nicht mehr physisch. Der Pfad, dem sie gefolgt waren, hatte in Wirklichkeit aus zwei Pfaden bestanden, die in unterschiedliche Richtungen führten.
    Als ihm klargeworden war, was geschah, war Gennadi herumgefahren und wollte zurückgehen, aber es war bereits zu spät. Der virtuelle

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