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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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Gemeinschaft, übt immer noch eine große Macht aus. »Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren.« Die Melodie ist einfach und alt wie die Worte, die bis heute verstanden werden. Und niemand, der auf den Schultern der Cascades lebt, kann sich dem spirituellen Einfluss entziehen, der wie das Gletscherschmelzwasser aus den rissigen Basaltfelswänden sickert.
    Sein Gesang verwebt sich mit ihrem und bildet einen seltsamen rhythmischen Kontrapunkt, der die Melodie untermauert.
    Es gehört nicht zu den Gewohnheiten von Cascadiopolis, eine Sonnenaufgangshymne zu singen. Wir sind es gewohnt, während der Zeit des Übergangs unruhig zu rasten, worauf die meisten Arbeitsschichten während der Stunden des Tageslichts still ruhen. Für manche Arbeiten ist die Sonne nötig – Anna Chao und die anderen Steinmetze würden aus Furcht vor Fingerverletzungen niemals Stein im Dunkeln bearbeiten. Genauso findet das Sicherheitssubkomitee niemals ruhigen Schlaf.
    Doch heute sind die Menschen seit seiner Ankunft auf den Beinen. Heute singen sie mit einem seltsamen Gefühl der Befreiung, als wäre die Bürde, ungebunden und grün zu sein, von ihnen abgefallen, als wären sie nicht mehr als unschuldige Waldbewohner.
    Gloria stürmt erzürnt durch die Gruppe. Sie schwingt einen alten Lacrosseschläger, dessen Spitze mit Reifengewichten beschwert ist, und ruft: »Seid still, ihr verdammten Dummköpfe! Wahrscheinlich können sie uns bis nach Estacada hören. Ihr Idioten! Jeder hier bekommt eine gottverdammte Extra-Arbeitsschicht, wenn ihr nicht sofort damit aufhört.«
    Das Lied verstummt wie auslaufende Wellen. Menschen eilen davon, verschwinden zwischen den schweren grünen Blättern, den hellen Farnen, den tieferen Schatten. Alle suchen ihre verschiedenen Lager oder Höhlen mit erneuerter Zielstrebigkeit auf – verletzt, beschämt, mit schlechtem Gewissen.
    Nach wenigen Augenblicken sind nur noch Tygre und seine Eskorte da, bestehend aus Bashar und Anna, die sich Glorias bebender Entrüstung stellen. Ein paar andere lungern in der Nähe herum, entweder um mutig zu lauschen oder weil sie zu dumm waren, sich schnell genug zu entfernen.
    Außer den beiden ist niemand von der Bürgerexekutive anwesend.
    »Was willst du hier?«, fragt Gloria und schwingt den Lacrosseschläger.
    »Was jeder andere will«, sagt Tygre. Bei Tageslicht erweist er sich als ungewöhnlich prosaisch. »Essen. Unterkunft. Freiheit.«
    »Du wirst uns vernichten.«
    Nun rührt sich Bashar. Er hat genug davon, diesen Mann zu verteidigen, der nicht zu ihm gehört, aber noch hat niemand die richtige Frage gestellt, die korrekte Aufforderung formuliert. »Wir befinden uns jetzt nicht unten in Symmetrie«, sagt er leise zu Gloria. Anna Chao wirkt beunruhigt.
    Die Schärfe in Glorias Stimme trifft ihn wie eine Rasierklinge. »Was willst du damit sagen, Bashar?«
    »Ich will damit sagen, dass du kein Verhör mit diesem Mann durchführst.« Bashar mangelt es am nötigen Anstand, den Eindruck des Unbehagens zu erwecken, aber er zwingt sich zu einem diplomatischen Stirnrunzeln. Er konnte Gloria noch nie leiden. Doch offene Schadenfreude auf ihre Kosten würde niemandem dienen. »Er wurde aus deinem Gewahrsam entlassen.«
    »Er ist einfach hinausgegangen .«
    »Und du hast ihn gehen lassen«, ruft Bashar ihr ins Gedächtnis. »Hier draußen bin ich zuständig. Es ist meine Entscheidung, wer bleibt oder geht.« Er blickt sich zu den Zuschauern und Zuhörern um, betrachtet stirnrunzelnd die Frau, die ihm vertraut erscheint, es aber nicht ist. Eine Frage liegt ihm auf den Lippen, aber erneut wird er von Tygre unterbrochen.
    »Ich vernichte niemanden«, sagt er zu Gloria. Der große Mann tritt hinter den Kochtöpfen hervor und lässt sich anmutig im Lotussitz nieder. Nun sind seine Augen fast auf gleicher Höhe mit ihren. Irgendwie wirkt es zugleich unglaublich würdevoll und furchtbar überheblich.
    Bashar weiß, dass die Frau schon wegen geringerer Beleidigungen getötet hat.
    »Du bist der wandelnde Tod«, haucht sie. »Der Herr der Knochen.« Dann beginnt sie zu zittern, als sich etwas in ihr löst.
    Er streckt einen erstaunlich langen Arm aus und berührt ihre Stirn. »Du kennst mich nicht. Niemand kennt mich. Aber ich bin für euch alle hier. Sogar für dich, die du einen Speer in meine Seite stoßen möchtest, damit ich für immer unter kaltem Stein liege.«
    Bashar fragt sich, was hier eigentlich vor sich geht. Anna Chao wirkt genauso ahnungslos, wie er sich

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