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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Scalzi
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arbeitet sich mühelos durch die Reihen der Junioren und geht dann zu den mittleren Rängen über, die sich eigentlich an Reynolds’ Seite hätten stellen sollen. Nach zwanzig Minuten ist er noch nicht einmal ins Schwitzen gekommen. Wenige Augenblicke später ist es vorbei – bis auf Bashar.
    Und Anna Chao, die nun in den Kreis tritt.
    Sie war die ganze Zeit hin- und hergerissen zwischen einer unerklärlichen Schwärmerei für diesen Mann und der Auseinandersetzung mit Gloria Berry, deren Wut grenzenlos geworden ist. In den vergangenen Tagen hat sie mehr Steine bearbeitet als irgendein anderer Steinmetz in der kurzen Geschichte von Cascadiopolis. Eine Basaltplatte nach der anderen löste sich, als hätte ein göttliches Messer sie aus dem Berg geschnitten. Frustration in den Bruchlinien. Unerwiderte Leidenschaft inmitten von Staub und Splittern.
    Nun ist sie grau von einer weiteren Arbeitsschicht an den Hängen. Winzige Blutperlen glitzern im blassen silbernen Licht des späten Abends. Sie scheint fast ein Wiedergänger zu sein, ein Geist aus dem Jenseits.
    Das Tempo des leisen Klatschens steigert sich. Diese Leute wissen, dass sie in Kürze einen großen Kampf erleben werden. Anna gehört zu den wenigen, die es mit Bashar aufnehmen können, und jeder weiß, dass er bereits einen rollenden Lastwagen mit bloßen Händen bezwungen hat. Ihre Muskeln, die von der Steinmetzarbeit gestählt wurden, und ihre Rücksichtslosigkeit im Folterhandwerk verbinden sich in ihr zu einer unaufhaltsamen Macht.
    Ihre Vernarrtheit in Tygre ist eine Naht, die sich deutlich auf ihrer Rüstung abzeichnet.
    Er klatscht in die Hände und verbeugt sich vor ihr.
    Sie tut dasselbe und setzt sich in Bewegung, um ihn zu umkreisen. Tygre tut es ihr nicht nach. Er steht nur da, die Arme entspannt an den Seiten, und lächelt leicht, als sie hinter ihn tritt. Die Verletzlichkeit seines bloßliegenden Rückens in Verbindung mit seinem stolz gereckten Kinn entflammt die Leidenschaft aller.
    Anna täuscht von hinten an. Tygre weiß es, er muss es wissen, doch er steht reglos wie eine Douglasfichte da, als wollte er den Schlag einstecken. Ein Schlag von ihr gegen den Kopf könnte sich als tödliche Nachlässigkeit erweisen.
    Nun begibt sie sich auf seine linke Seite. Die Frustration lässt sie zittern. Sein Lächeln wird ein wenig breiter, nur so viel, dass alle es sehen können.
    Es besagt: Komm zu mir, Frau. Gib dich mir hin.
    Sie wirbelt mit einem klassischen Taekwondo-Schlag auf ihn zu. Ihr Fuß fliegt gegen die ungeschützte Seite seines Knies, die Fäuste holen zum Nachschlag aus. Er tritt so nahe an sie heran, dass sie sich im Vorbeigehen hätten küssen können. Der Knieschlag geht weit daneben. Tygre stoppt ihre Fäuste mit dem breiten Griff seiner Hände.
    Anna stöhnt, als ein Handgelenk knackt. Einer der Zuschauer seufzt mitfühlend. Sie starrt ihn nur an.
    »Unmöglich«, sagt sie.
    »Nichts ist unmöglich«, erwidert Tygre. Er nimmt ihren verletzten Arm und richtet den Knochen mit einem nervenzermürbenden Knirschen. Ihr Atem strömt über die Lippen wie Feuer in einem Sauerstoffschlauch, aber sie hält sich wacker. »Das solltest du behandeln lassen«, sagt er zu ihr und lässt ihren schlimmen Arm los, damit ihr gesunder ihn halten kann.
    Mit einer Verbeugung, die allen im Kreis gilt, entfernt sich Tygre.
    Bashar hat es satt. »Du bist noch nicht fertig«, sagt er zum großen Mann.
    Roter Nebel steigt in seinem Sichtfeld auf. Bashar weiß, was das bedeutet. Er hat einst eine ganze Stadt ausradiert, als ihm rot vor Augen wurde. Cascadiopolis ist ein Ort, an dem das Rot in weiter Ferne bleibt – es ist aus dem grünen Land verbannt. Tygre ist ein Mann, der einen Teil seiner Seele besänftigt, von dem Bashar gar nicht wusste, dass er beschädigt war.
    Aber die stärksten Männer und Frauen der Stadt auf so beiläufige Weise zu besiegen – das ist eine Grausamkeit, von der selbst Katzen nur träumen können.
    Tygre blickt über die Schulter zurück. »Doch, ich bin fertig.«
    Bashar sieht nur noch roten Nebel und einen bloßliegenden, sich entfernenden Rücken. Er läuft los, auf Tygre zu und dann an ihm vorbei, in die Dunkelheit, wo die Nacht alle Sünden verschluckt und jede Reue unsichtbar wird.
    Er wird diesen Mann töten müssen, und zwar schnell, wenn sich nicht bald etwas ändert. Bashar hasst sich selbst am meisten für diese Erkenntnis.

    Aus dem Ratgeber für Neuankömmlinge in Cascadiopolis :
    Cascadiopolis ist ein

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