Scarpetta Factor
verschicken und Bilder und Informationen herunterzuladen, und zwar eindeutig zu häufig. Sie war nachlässig geworden. Inzwischen verbrachte sie so viel Zeit in Taxis und auf Flughäfen, während der ständige Informationsfluss sie niemals in Ruhe ließ. Fast alle diese Daten waren nicht passwortgeschützt, weil Scarpetta an der Technik gescheitert war. Vielleicht auch, weil sie keine Lust gehabt hatte, nach der Pfeife ihrer Nichte zu tanzen.
Scarpetta klickte Empfangene Nachrichten an. Die letzte E-Mail, eingegangen erst vor wenigen Minuten, stammte von Lucy. Der sarkastische Betreff lautete:
FOLGE DEN BROTKRÜMELN
Scarpetta öffnete die Mail.
Tante Kay: In der Anlage findest Du eine GPS-Lokalisierungs-Datei, die alle 15 Sekunden aktualisiert wird. Ich habe nur die wichtigsten Zeiten und Örtlichkeiten eingegeben, und zwar ab circa 21:00, als Du Deinen Mantel in der Maske in den Schrank gehängt hast. Vermutlich ist das BlackBerry in der Manteltasche. Ein Foto ist tausend Worte wert. Schau Dir die Dias an und bilde Dir Deine eigene Meinung. Ich weiß, was ich davon zu halten habe. Ich brauche nicht eigens zu erwähnen, wie froh ich bin, dass Dir nichts passiert ist. Marino hat mir von dem FedEx-Paket erzählt. – L.
Das erste Dia zeigte, wie Lucy es ausdrückte, das Time Warner Center aus der »Vogelperspektive«, also eine Luftaufnahme. Darauf folgte ein Stadtplan mit der Adresse sowie Längen- und Breitengrad. Es stand fest, dass Scarpettas BlackBerry sich um Viertel vor acht Uhr abends im Time Warner Center befunden hatte. Sie hatte den Eingang zum Nordturm an der Fifty-ninth Street genommen, die Sicherheitskontrolle passiert, war mit dem Aufzug in den vierten Stock gefahren und hatte ihren Mantel in den Schrank gehängt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich nur sie und die Maskenbildnerin im Raum aufgehalten, und es war völlig unmöglich, dass sich jemand während der zwanzig Minuten, die sie auf dem Stuhl geschminkt worden war, hereingeschlichen hatte. Anschließend hatte sie dagesessen, gewartet und sich im Fernseher, der immer lief, Campbell Brown angesehen.
Soweit Scarpetta sich erinnerte, hatte ein Tontechniker ihr gegen zwanzig nach acht ein Mikrophon angesteckt, was, wenn sie es genauer bedachte, zwanzig Minuten früher war als gewöhnlich. Anschließend hatte man sie ins Studio begleitet und an den Tisch gesetzt. Carley Crispin war erst kurz vor neun erschienen, hatte ihr gegenüber Platz genommen, Wasser mit einem Strohhalm getrunken und über Belanglosigkeiten geplaudert. Dann hatte die Sendung begonnen. Während der Sendung und bis Scarpetta kurz vor elf das Gebäude verlassen hatte, hatte sich ihr BlackBerry laut Lucy nicht von der Stelle gerührt. Allerdings mit einer Einschränkung.
Falls dein BB im selben Gebäude bewegt, das heißt in einen anderen Raum oder eine andere Etage gebracht wurde, würden sich Längen- und Breitengrad nicht ändern. Also lässt es sich nicht feststellen. Wir wissen nur, dass es im Gebäude geblieben ist.
Danach, kurz vor elf, als Carley Crispin und Scarpetta aus dem Time Warner Center traten, hatte sich auch das BlackBerry vom Gebäude entfernt. Scarpetta verfolgte seinen Weg in der Diashow und klickte nacheinander zwei Luftaufnahmen an, von denen eine den Columbus Circle, die andere ihr Wohnhaus am Central Park West zeigte, und zwar um sechzehn Minuten nach elf. Man musste annehmen, dass sich das BlackBerry noch immer in ihrer Manteltasche befand. Die alle fünfzehn Sekunden aktualisierte GPS-Übertragung deckte sich mit den Orten, die sie auf dem Heimweg passiert hatte. Aber Benton hatte mehrfach versucht, sie anzurufen. Wenn das BlackBerry in Scarpettas Tasche gesteckt hätte, hätte es doch klingeln müssen. Sie hatte es nicht abgeschaltet. Das tat sie praktisch nie.
Im nächsten Moment fiel Scarpetta etwas Wichtiges auf: Als sie das Haus betreten hatte, war das BlackBerry nicht mitgekommen. Die nächsten Bilder stellten eine Reihe von Luftaufnahmen, Stadtplänen und Adressen dar, die die merkwürdige Reise ihres BlackBerry nachvollzogen. Zuerst war es ins Time Warner Center zurückgekehrt, dann der Sixth Avenue gefolgt und hatte schließlich an der Adresse East Fifty-fourth Street, Nummer 60 angehalten. Scarpetta vergrößerte die Luftaufnahme und betrachtete die Ansammlung grauer Granitgebäude, die sich zwischen Wolkenkratzern drängten. Autos und Taxis waren auf der Straße erstarrt, und sie erkannte im Hintergrund das Museum of
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