Scarpetta Factor
York, die ihm bekannt vorkam, doch er konnte sie nicht einordnen. Als er sie wählte, hob jemand beim ersten Läuten ab.
»Lanier«, meldete sich eine Frauenstimme.
»Detective Marino, NYPD. Die Zentrale hat mir gerade diese Nummer gegeben. Sucht mich jemand?« Er fuhr in Richtung Canal Street und Eighth Avenue.
»Hier spricht Special Agent Marty Lanier vom FBI«, erwiderte sie. »Danke, dass Sie so schnell zurückrufen.«
Warum rief sie ihn um fünf Uhr morgens an? »Was ist los?«, fragte er und wusste plötzlich, warum ihm die Nummer vertraut erschien.
Es war der Anschluss 384 der New Yorker Außenstelle des FBI. Marino hatte zwar schon öfter dort zu tun gehabt, kannte jedoch weder Marty Lanier noch ihre Durchwahl. Er hatte noch nie von ihr gehört und konnte sich keinen Grund vorstellen, warum sie ihn so früh am Morgen sprechen wollte. Im nächsten Moment fiel es ihm wieder ein. Petrowski hatte Fotos ans FBI geschickt. Die Aufnahmen aus der Überwachungskamera, die den Mann mit der Tätowierung am Hals zeigten. Er wartete ab, was Special Agent Lanier ihm zu sagen hatte.
»Wir haben gerade eine Mitteilung vom RTCC erhalten, die Sie als Kontaktperson im Zusammenhang mit einer Suchanfrage benennt. Es geht um den Vorfall am Central Park West.«
Es brachte Marino ein wenig aus dem Konzept, dass sie wegen des verdächtigen Pakets anrief, während er auf dem Weg zum Central Park West war, um Scarpetta abzuholen.
»Okay«, erwiderte er. »Haben Sie etwas gefunden?«
»Der Computer hat einen Treffer in einer unserer Datenbanken gelandet«, antwortete sie.
Hoffentlich in der Datenbank mit den Tätowierungen. Marino konnte es kaum erwarten, mehr über das Arschloch mit der FedEx-Mütze zu erfahren, das Scarpetta ein verdächtiges Paket gebracht hatte.
»Wir können heute Vormittag in unserer Außenstelle persönlich darüber reden«, fügte Lanier hinzu.
»Später? Soll das heißen, Sie haben zwar einen Treffer, aber die Sache kann warten?«
»Sie wird warten müssen, bis sich die Polizei mit dem Gegenstand befasst hat.« Damit meinte sie das Paket von FedEx, das sich noch in dem Bombensicherheitskoffer in Rodman’s Neck befand und von dem niemand wusste, was es enthielt. »Wir können noch nicht sagen, ob es sich bei dem Vorfall am Central Park West um eine Straftat handelt«, ergänzte sie.
»Bedeutet das, dass Sie Hinweise auf eine andere Straftat haben?«
»Wir reden weiter, wenn wir uns treffen.«
»Warum rufen Sie mich dann jetzt an, als hätten wir einen Notfall?« Es ärgerte Marino gewaltig, dass das FBI sich zwar sofort bei ihm gemeldet hatte, aber nicht mit den Informationen herausrückte und ihn schmoren ließ, bis man Zeit hatte, eine gottverdammte Sitzung anzuberaumen.
»Ich habe angenommen, dass Sie im Dienst sind, weil wir die Mitteilung eben erst erhalten haben«, erklärte Lanier. »Der Zeitstempel auf der Suchanfrage. Offenbar schieben Sie Nachtschicht.«
Diese Heimlichtuerei ist typisch FBI, so ein Schwachsinn! , dachte Marino. Hier ging es nicht darum, ob er Nachtschicht schob, sondern um Lanier. Sie rief ihn von einem 384er-Anschluss an, weil sie sich in der Außenstelle aufhielt. Dass sie so früh im Büro saß, war ein Hinweis auf ein wichtiges Ereignis. Und zwar ein sehr wichtiges. Nun sprach sie darüber, dass sie über die Teilnehmer an dieser Sitzung entscheiden würde. Klartext: Marino würde zuvor rein gar nichts erfahren. Viel hing davon ab, wie das Bombenentschärfungskommando Scarpettas Paket einstufte.
»Welchen Rang bekleiden Sie beim FBI?« Marino stellte diese Frage, weil sie ihn durch den Reifen springen ließ und ihn herumkommandierte.
»Derzeit arbeite ich mit der Einsatzgruppe Bankraub zusammen. Außerdem bin ich die leitende Koordinatorin des landesweiten Zentrums für die Analyse von Gewaltverbrechen«, entgegnete sie.
Die Einsatzgruppe Bankraub war die älteste in den Vereinigten Staaten und bestand aus Ermittlern des NYPD und FBI-Mitarbeitern. Sie befasste sich mit allen möglichen Straftaten, angefangen beim Bankraub bis hin zu Entführung, Nachstellung und Verbrechen auf hoher See wie zum Beispiel Vergewaltigungen auf Kreuzfahrtschiffen und Piraterie. Es wunderte Marino nicht, dass die Einsatzgruppe Bankraub in einem Fall tätig wurde, der das FBI interessierte. Aber das landesweite Zentrum für die Analyse von Gewaltverbrechen? Mit anderen Worten, diese Frau arbeitete bei der Abteilung Verhaltensforschung, also in Quantico. Damit hatte Marino nicht
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