Scary City, Band 1: Das Buch der Schattenflüche, Scary City 1 (German Edition)
verstummte und neigte dann den Kopf zur Seite, als lausche er. Gleich darauf zuckte er die Schultern. »Es gibt nur wenige echte Götter und die leben sehr zurückgezogen.«
»Diese, äh, falschen Götter«, sagte Lucy, »sehen sie manchmal aus wie ein weißer Rabe?«
Tic verharrte einige Flügelschläge lang auf der Stelle, bevor er langsam zu Lucy herumschwenkte. »Morrigan, die Göttin der Schlachtfelder und gefallenen Krieger, hat einen weißen Raben als Späher. Wo er ist, ist auch sie nicht fern.« Er zögerte. »Siehst du zufällig einen weißen Raben?«
Lucy nickte.
»LAUFT!«, schrie Tic zum zweiten Mal in dieser Nacht und schoss davon.
Mats schlang erneut seine Finger um Lucys Hand und zog sie mit sich, den Blick starr auf den vorausfliegenden Feenmann gerichtet. Ein Krächzen erscholl hinter ihnen. Der Ruf des Raben nach seiner Herrin! Kurz darauf echote auch schon das Hufgeklapper eines Schlachtrosses durch den Tunnel.
»Zeit, Zeit – gebt mir eure Lebenszeit«, heulte Morrigans grausige Stimme hinter ihnen aus dem Nebel, wobei sich jedes Wort wie Raureif über Mats’ Haut legte, um ihm mit seiner Kälte alle Hoffnung und Zuversicht zu rauben. Allein die Sorge um Lucy hinderte ihn daran, einfach aufzugeben und stehen zu bleiben. Sein Herz raste. Seine Lungen brannten. So schnell war Mats noch nie im Leben gelaufen. Allerdings wurde er auch noch nie zuvor von einer mordgierigen Göttin verfolgt.
»Niemand entkommt meinem Schlachtfeld!«, rief Morrigan unter wildem Gelächter.
Doch plötzlich öffnete sich der Tunnel zu einer düsteren, von roten Feuern erhellten Höhle.
»Weiter«, drängte Mats, während er und Lucy einen holprigen Pfad entlangstolperten, der zwischen scharfkantigen Felsen verlief.
Auf einmal tauchte Tic direkt vor seiner Nase auf. »Ihr könnt jetzt stehen bleiben. Morrigan wird es nicht wagen, uns hierherzufolgen.«
Mats warf einen Blick zurück. Im Schatten des Tunnels saß eine hochgewachsene Gestalt auf dem Rücken eines mächtigen Schlachtrosses mit rot glühenden Augen. Ihr bloßer Anblick brachte sein Herz erneut zum Rasen.
»Bist du dir sicher?«
»Der Nebel der Schlachtfelder würde hier draußen zerfließen. Und die Göttin braucht ihn zum Überleben wie eine Nymphe das Wasser.«
»Gut.« Mats lehnte sich an einen Felsen, um zu verschnaufen. Zugleich machte er sich ein Bild von ihrer Umgebung. Diese Höhle war anders als die letzte. Hier gab es keine mittelalterliche Stadt. Nur riesige, brennende Scheiterhaufen, deren rötlicher Schein auf bizarre Felsformationen fiel, die diesem Ort ein fremdartiges und bedrohliches Aussehen verliehen.
»Der Vorhof zur Hölle«, sagte Lucy, die ganz ähnliche Gedanken zu haben schien.
Erneut flog der Feary voraus. Weder Mats noch Lucy gefiel dieser Ort. Auch hier herrschte eine unnatürliche Stille, die nur vom Knistern und Knacken der Scheiterhaufen unterbrochen wurde, an denen ihr Weg sie vorüberführte.
»Sind wir hier richtig?«, fragte Mats. Bisher waren sie auf kein einziges Lebenszeichen gestoßen.
»Das sind wir.« Tic deutete auf eine nahe Anhöhe. »Dort müsst ihr hinauf.«
Mats blickte nach vorne, wo sich ein Hügel erhob. Sobald sie ihn erklommen hatten, blieben er und Lucy wie angewurzelt stehen. Vor ihnen lag das Loch – und der Name hätte nicht treffender sein können. Mats starrte in einen Krater, der wie die Einschlagstelle eines Meteoriten aussah. Rostige Trittleitern führten hinab auf den hundert Meter tiefen Grund, auf dem weitere Scheiterhaufen zwischen heruntergekommenen Bauwerken brannten. Vereinzelte Riesenfledermäuse zogen ihre Kreise wie prähistorische Flugechsen über dem Viertel. Zwischen ihnen jagten fliegende Teppiche umher, auf denen schwarze Dschinns mit leuchtend gelben Augen ritten.
»Das sieht wie eine von diesen Gegenden aus, vor denen Paps mich immer warnt«, sagte Lucy mit rauer Stimme und beugte sich noch ein Stück weiter über den Rand des Kraters. »Warum gibt es hier keine Feenlampen?«
»Na ja, die Hälfte der Leute dort unten wird von der Bruderschaft des Blinzlers gesucht. Darum bevorzugen sie das Zwielicht.«
»Und die andere Hälfte?«, fragte Mats, obwohl er die Antwort nicht wirklich wissen wollte.
»Ein paar von ihnen verabscheuen zu viel Licht, weil es ihnen Schmerzen bereitet. Andere sind schlicht zu arm, um sich Feenlampen zu leisten.« Tic zuckte die Achseln. »Das hier ist nicht das Paradies, Baby. Auch bei uns hat alles seinen
Weitere Kostenlose Bücher