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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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gefangen, dass sie weder das Pfeifen noch die gleichmäßigen Tritte von Stiefeln hörte. Als der Mann um eine Wegbiegung kam, blieb er wie angewurzelt stehen und starrte sie an.
    Hannah schaute verzweifelt hierhin und dorthin und überlegte, ob sie wegrennen und sich verstecken konnten, aber dieser Straßenabschnitt war ungewöhnlich breitund kahl. Molly drückte sich von hinten an sie und stieß ein leises, ängstliches Fiepen aus.
    Der Mann war groß und breitschultrig, sein Gesicht war von der Sonne verbrannt, sein Bart stoppelig. Aber seine Kleider sahen ziemlich neu und solide aus, auch wenn sie sehr schmutzig waren. Auf seiner Schulter trug er einen Sack. Er schaute sie überrascht an und Hannah dachte, dass der Anblick eines kurzhaarigen Mädchens in einem teuren Kleid und einem Kind mit halbem Gesicht in der Tat sehr merkwürdig sein musste.
    »Ich nehme an, ich muss euch gar nicht erst nach einer Durchgangsgenehmigung fragen«, sagte der Mann. Er hatte nicht den breiten Akzent der Kolonieburschen, sondern sprach wie ein englischer Bauer.
    Hannah biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Sie überlegte, ob er sie verhaften wollte und ob sie ihm entkommen konnten. Er sah schrecklich stark aus.
    »Sträflinge?«, fragte der Mann.
    »Ja«, antwortete Hannah.
    Er nickte. »Ich auch, zumindest jetzt noch. Wenn wir beim Straßenbau hart arbeiten, werden wir angeblich freigelassen.« Er machte nicht den Eindruck, als wollte er sie verhaften.
    »Warum gehen Sie zurück?«, fragte Hannah.
    Der Mann verzog kläglich das Gesicht und hielt seine Hand hoch. Sie war mit einem Stück Segeltuch notdürftig verbunden.
    »Hab mir einen bösen Splitter geholt. Ist entzündet. Ich muss nach Parramatta und mich verarzten lassen. Aber in ein oder zwei Tagen komme ich wieder her. Ich heiße Will. Will Appledore.«
    Hannah lächelte. »Ich heiße Hannah und das ist Molly.« Molly machte sich hinter Hannah noch kleiner.
    »So, so«, sagte er augenzwinkernd, »und vor wem rennst du weg, Hannah?«
    Molly trat einen Schritt vor. »Wir suchen jemanden«, antwortete sie.
    Als der Mann Mollys einzelnes Auge bemerkte, huschte ein Ausdruck von Mitleid über sein Gesicht. Hannah entschied, dass sie ihm trauen konnten.
    »Wir suchen … einen Freund«, erklärte sie. »Sein Name ist Thomas Behr.«
    Appledore zuckte die Achseln. »Der arbeitet hier nicht. Ich kenne jeden.«
    »Er arbeitet auch nicht an der Straße«, erwiderte Hannah.
    »Er hat sich in den Bergen versteckt.«
    Appledore schaute sie einen Augenblick schweigend an, dann sagte er: »Es gibt einige, die sich in den Bergen verstecken.«
    »Er war Offizier«, ergänzte Hannah. »Er ist geflohen.«
    »Der kann überall und nirgends sein«, meinte Appledore.
    »Vielleicht ist er tot.«
    »Er ist nicht tot«, widersprach Hannah. »Dessen bin ich mir ganz sicher. Wissen Sie vielleicht etwas?«
    »Tut mir leid, Miss«, antwortete er, »ich würde euch gerne helfen. Aber ich habe Familie und Superintendent Cox hat gesagt, wenn wir uns beim Straßenbau anstrengen, kommen wir frei und kriegen auch noch ein Stück Land. Wenn ich das Gesetz breche und einem Flüchtigen helfe, schade ich mir nur.«
    »Also wissen Sie doch etwas«, sagte Hannah.
    Appledore zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid«, murmelte er.
    Hannah verfluchte im Stillen den Ruderer, der ihr das ganze Geld abgeknöpft hatte.
    »Ich … ich habe kein Geld mehr. Ich habe nichts, was ich Ihnen anbieten könnte.« Schon während sie es aussprach, wusste sie, dass es nicht stimmte. Der Mann im Boot hatte ihr zwei Zahlungsmöglichkeiten zur Wahl gestellt. Sie schluckte. So weit war sie schon gekommen.
    »Ich könnte … vielleicht … «, stotterte sie errötend und blickte zur Seite.
    Will Appledore runzelte die Stirn. »Ich habe eine Tochter in deinem Alter«, sagte er und seufzte. »Dieser Ort macht aus den anständigsten Männern und Frauen Diebe und Huren.«
    Hannah empfand eine seltsame Mischung aus Enttäuschung und Erleichterung. Wie sollte sie Thomas jetzt finden?
    »Hört her«, begann Appledore erneut, »ich habe euch nicht getroffen, falls jemand fragt. Und ihr habt mich nicht getroffen.Wir haben tatsächlich jemanden gesehen, als wir an der Straße gearbeitet haben. Ich weiß nicht, ob das der war, nach dem du suchst, aber ich weiß, wo du ihn finden kannst.«
    Hannah schöpfte wieder einen Funken Hoffnung.
    »Wenn ihr ungefähr drei Tage lang dieser Straße folgt«, erklärte Appledore, »dann

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