Scatterheart
Vorbereitungen für den Sturm getroffen und nun war nichts mehr zu tun. Die meisten befanden sich bereits unter Deck, um ein paar kostbare Minuten zu schlafen oder sich mit einem kräftigen Schluck für die lange Nacht zu wappnen. Einige waren an Deck geblieben und legten Taurollen zusammen. Auf dem Achterdeck standen ein paar Offiziere. Einer von ihnen war Dr. Ullathorne, der sich mit Captain Gartside unterhielt.
Am Himmel hingen schwere dunkle Wolken. Hannah löste ihren Zopf. Der Wind peitschte ihr die Haare ins Gesicht. James ließ sich auf dem Deck nieder und Hannah nahm neben ihm Platz.
Im abendlichen Zwielicht schimmerte James’ Haut beinahe bläulich und seine roten Lippen waren fast schwarz. Eine dunkle Haarlocke hatte sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst und hing ihm ins Auge. Er sah zart und schön aus wie ein Prinz aus einem der Märchen, die Thomas ihr erzählt hatte, als sie kleiner war.
»Ich dachte mir, Sie haben von den anderen Frauen vielleicht genug«, sagte er.
»Da unten stinkt es!«
James nickte. »Das ist das Ballastwasser.«
»Das ist im Schiffsbauch, nicht wahr?«
James nickte wieder. »Es drückt das Schiff nach unten und stabilisiert es.«
»Warum stinkt es so fürchterlich?«
»Das liegt an der Mischung aus Sand und Kies. Sie schwappt jahrelang in der Bilge hin und her und man kann sie nicht reinigen. Da sammeln sich mit der Zeit reichlich Kompost, tote Ratten und allerlei Unrat an.« Hannah verzog das Gesicht.
»Sie sollten sich glücklich schätzen«, sagte James. »Ich bin schon auf Schiffen gewesen, die viel schlimmer gestunken haben. Bei einem war die Luft aus der Bilge so schlecht, dass unsere Knöpfe schwarz anliefen.«
Hannah drehte ihren Kopf in den Wind und ließ ihre Haare flattern. James’ Blick wanderte über das Meer.
»Das vermisse ich am meisten«, seufzte er. »Reine Luft. Saubere Wäsche. Eine frisch gestärkte Halsbinde.«
»Toast«, ergänzte Hannah. »Ich vermisse Toastbrot. In einem silbernen Toastständer. Butter in einer weißen Porzellandose.«
»Ein anständiger Schneider. Und Handschuhe aus Ziegenleder.«
»Meine Abigail, die mir jeden Morgen die Haare richtet.«
»Ein Glas Portwein, eine gute Zigarre und eine Partie Pikett im White’s.«
Eine Pfeife schrillte und wie aus dem Nichts tauchten Matrosen auf und kletterten wie die Affen auf die Masten und Rahen. Leinen wurden losgemacht und die Luft war von Segelknattern und Kommandorufen erfüllt.
Hannah beobachtete die Männer.
»Woher wissen sie, wohin wir fahren? Es ist kein Land in Sicht.«
James lächelte und antwortete: »Wir werden kaum Land zu sehen bekommen. Frühestens in Kapstadt, wenn wir unsere Vorräte aufstocken, und dann erst wieder in New South Wales.«
»Und wie lange wird das dauern?«
»Schwer zu sagen«, erwiderte James. »Die Reise kann zwei Monate, aber auch sieben Monate dauern. Jetzt ist nicht die günstigste Jahreszeit, deshalb schätze ich, dass wirsechs Wochen bis zum Äquator brauchen und dann noch einmal zwei bis nach Kapstadt. Von dort aus sind wir vielleicht zwei weitere Monate bis New South Wales unterwegs. Also vor September werden wir kaum da sein.«
»September?«, rief Hannah. »Aber jetzt ist es erst April.«
»New South Wales ist weit weg. Ich weiß nicht, ob es etwas gibt, das weiter weg ist.«
»Meinen Sie, wir könnten uns verfahren?« Hannah zitterte.
»Nein«, schmunzelte James. »Mr Dollard ist einer der besten Navigatoren, die es gibt. Auch wenn er wie ein Trunkenbold aussieht, er folgt einer Route von Portsmouth bis zum anderen Ende der Welt wie einer unsichtbaren Schnur. Dreizehntausend Meilen, die für uns nichts als Salzwasser sind. Aber er kann die Straße darunter so deutlich erkennen wie ich Sie.«
»Das Land hinter den Meeren«, murmelte Hannah. »Wie macht er das?«
James zuckte die Achseln. »Berechnungen, Karten, Kompass. Und die Sterne.«
»Die Sterne?«
»Man kann mithilfe der Sterne navigieren. Wenn Sie einmal nachts hier heraufkämen, könnte ich es Ihnen zeigen.« Er schaute Hannah an und sie blickte errötend zur Seite.
»Also …«, sagte sie eilig, »der Wind ist doch dafür verantwortlich, dass das Schiff vorwärtskommt. Aber wenn der Wind sich dreht, fahren wir dann nicht in die verkehrte Richtung?«
James lachte laut auf. »Es ist egal, aus welcher Richtung der Wind weht«, erklärte er. »Wir können ihn so steuern, dass er uns trägt, wohin wir wollen.«
»Aber woher wissen Sie, wann er sich dreht?«
»Sehen
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