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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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volltrunken, im Halbschlaf den Arm nach Hannah ausstreckte.
    »Sei nur vorsichtig«, lallte sie. »Du bist noch so klein und sehr, sehr dumm. Der Leutnant ist es gewohnt, seinen Willen zu bekommen. Pass nur auf, dass er nicht wütend wird. Glaub mir.«
    Sie ließ Hannah los und begann zu schnarchen. Hannah drehte sich zu James um, aber der war schon halb den Gang hinunter. Sie eilte ihm nach.
    Als sie an Deck trat, blieb sie einen Moment wie gebannt stehen. Über ihr funkelten die Sterne. Seit sie sie das letzte Mal gesehen hatte, waren Monate vergangen. In London waren sie meist vom Nebel verdeckt und auf dem Schiff durften die Sträflinge nach Sonnenuntergang für gewöhnlich nicht an Deck. Hannah überlegte, ob sie in Schwierigkeiten kommen könnte, dann fiel ihr ein, dass sie in Begleitung des Ersten Offiziers war.
    Sie gingen zum Vorderdeck. Die Planken waren nass und glitschig. James streifte seine Jacke ab und breitete sie auf dem nassen Boden aus. Hannah trat einen Schritt vor, weil sie dachte, die Jacke sei für sie zum Sitzen gedacht. Aber James hatte sich schon selbst darauf niedergelassen. Er zog einen Flachmann aus seiner Tasche, öffnete ihn und reichte ihn Hannah. Sie schüttelte den Kopf und setzte sich neben ihn.
    James schmunzelte und nahm einen Schluck.
    »Haben Sie an der Feier Ihrer Freundin etwa nicht teilgenommen?«
    Hannah sah ihn erstaunt an. »Woher wissen Sie davon?«
    »Sie ist in das Schnapslager der Offiziere eingebrochen. Ullathorne hat einen ganzen Zuber leerer Flaschen im Laderaum gefunden. Er verlangt, dass sie ausgepeitscht wird.«
    »Und, wird sie das?«
    James grinste. »Nein, aber wir haben eine kleine Überraschung für sie vorbereitet.«
    »Was machen Sie mit ihr?«
    James schwieg, aber seine Augen lachten immer noch. Er hob seinen Arm zum Himmel und zeigte auf die Sterne. »Sehen Sie, dort ist Orion.«
    Hannah folgte seiner Hand und versuchte die Umrisse des Jägers auszumachen.
    James senkte seinen Finger zum Horizont.
    »Und da ist der Große Bär, sehen Sie?«
    Hannah blinzelte.
    »Nein, ich kann ihn nicht finden.«
    »Schauen Sie«, sagte James und rückte näher. Er neigte sich so weit vor, dass er ihrem Blick mit seinem ausgestreckten Arm folgen konnte. Er roch nach Whisky, ein Geruch, der sie an ihren Vater erinnerte. »Da drüben läuft er, sein Kopf ist uns zugewandt. Die drei Sterne dort bilden seinen Schwanz.«
    »
Ihren
Schwanz«, sagte Hannah, die sich daran erinnerte, was Thomas Behr ihr einmal erzählt hatte. »Es ist eine Bärin. Sie heißt Kallisto.«
    »Wie?«
    »Kallisto. Das war eine Nymphe. Zeus verliebte sich in sie und verführte sie. Sie hatten einen Sohn, der Arkas hieß. Die Frau von Zeus war so wütend, dass sie Kallisto in eine Bärin verwandelte. Arkas tötete sie beinahe auf der Jagd, aber dann setzte Zeus sie beide als den Großen und Kleinen Bären in den Himmel.«
    James verzog das Gesicht. »Woher wissen Sie so viel über die Sterne?«
    Hannah lachte. »Das hat mir Thomas beigebracht. Er liebte Geschichten.«
    »Wer ist Thomas?«, fragte James schnell.
    »Mein Hauslehrer.«
    »Ein Hauslehrer hat Sie in Astrologie unterrichtet?« James zog die Augenbrauen hoch. »Ich wundere mich, dass Ihr Vater das erlaubt hat.«
    »Hat er auch nicht«, sagte Hannah. »Thomas wurde … er wurde entlassen.«
    »Zu Recht«, entgegnete James. »Kein Vater will einen Blaustrumpf zur Tochter.«
    »Ich bin doch kein Blaustrumpf, nur weil ich ein paar Bärengeschichten kenne.«
    James zuckte die Achseln. »Das da drüben ist der Kleine Bär. Aber ich finde, er sieht nicht wie ein Bär aus. Der Schwanz ist viel zu lang.«
    Hannah lächelte versonnen. »Thomas hat immer gesagt, der Schwanz sei so lang, weil er Tausende von Jahren daran um den Nordpol gewirbelt worden ist.«
    »Ihr Thomas hat wohl auf alles eine Antwort«, brummte James.
    Hannahs Lächeln erstarb und sie sah wieder zu den funkelnden Sternen hinauf.
    »Nein«, erwiderte sie nach einer Weile. »Thomas kannte nicht alle Antworten. Er glaubte es, aber es stimmte nicht.« Hannah dachte an Thomas’ weißen Bären. Sie seufzte.
    »Was haben Sie?«, fragte James.
    »Nichts«, murmelte Hannah, »ich musste nur gerade an eine andere Geschichte denken.«
    James nahm noch einen Schluck aus dem Flachmann. »Für einen Abend habe ich genug Geschichten gehört.« Er betrachtete Hannah von der Seite. »Ich fände es schön, wenn Sie ein anständiges Kleid tragen würden. Aus weichem Musselin. Blassrosa. Vielleicht mit

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