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Scatterheart

Scatterheart

Titel: Scatterheart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lili Wilkinson
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hatte James sie geschlagen. Das rosa Kleid mit dem Spitzenkragen und den Perlmuttknöpfen passte nicht zu der zerzausten Frisur und der gebräunten Haut.
Hammel im Lammkleid
, hätte Long Meg gesagt. Sie stellte die Flasche mit zitternden Fingernzurück. Das wollte sie nicht. Sie wollte keine Spitzen und teuren Düfte. Das alles zählte nichts mehr, jetzt wo Thomas tot war.
    An diesem Abend saß sie James gegenüber am Esstisch und aß Fleischpastete. Der Koch hatte ihr zwar versichert, dass es Lamm sei, aber sie vermutete, dass es Kängurufleisch war. Sie brachte kaum einen Bissen hinunter. Das Essen schmeckte fad wie Asche und blieb ihr im Hals stecken wie der Toast, den James ihr auf der
Derby Ram
serviert hatte.
    »Hast du das Bad genossen?«, fragte James.
    »Ja«, sagte Hannah. »Danke«, fügte sie nach einer Weile hinzu.
    Das einzige Geräusch war das Kratzen des Bestecks auf den Porzellantellern.
    »Es wird dir hier gefallen«, fuhr er fort. Das war keine Frage, also musste Hannah auch nicht darauf antworten.
    »Du musst dich natürlich erst an dein neues Leben gewöhnen«, sagte er. »Ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn du erst einmal in deinem eigenen Zimmer schläfst.«
Erst einmal
. Seine Worte hingen wie eine Drohung in der Luft.
    Hannah blickte auf weißes Porzellangeschirr, die silbernen Gabeln und Messer, das steife weiße Tischtuch und die eleganten Mahagonistühle. Sie hasste alles, was sie sah. Sie hasste den silbernen Toastständer, die dünnenrosa Porzellantassen, die Kleider, die James für sie gekauft hatte, und die zierlichen Satinpantoffeln, die schon jetzt mit einer dicken gelben Staubschicht bedeckt waren. Alles erinnerte sie an ihr altes Leben in London und sie wusste, dass sie das Einzige, was sie aus dieser Zeit wirklich haben wollte, nicht bekommen konnte.
    »Du wirst erschöpft sein«, sagte James.
    »Ja«, murmelte Hannah.
    »Du hast viel durchgemacht.«
    »Ja.«
    James nickte. »Du kannst heute früh zu Bett gehen. Ich verlange nicht von dir, dass du mir heute Abend Gesellschaft leistest.«
    Hannah erhob sich und verließ das Zimmer und kam sich dabei wieder wie ein kleines Mädchen vor.
    James hatte in Parramatta einen Verwaltungsposten angenommen und musste die Verteilung der Sträflinge an die freien Siedler beaufsichtigen. Hannah war fast den ganzen Tag allein. Manchmal musste James auch für einige Tage nach Sydney, dann sah Hannah nur das schüchterne Mädchen, das ihr beim Ankleiden half und ihr morgens den Tee brachte, und den Butler, der das Abendessen servierte.
    Jeden Donnerstag blieb James bis in die Morgenstunden fort. Jedes Mal wachte Hannah in der Dämmerung davon auf, wie er fluchend und lallend durch den Flur stolperte.Anfangs verkroch sie sich unter ihre Bettdecke, weil sie Angst hatte, er könnte in ihr Zimmer stürmen und verlangen, dass sie sich ihm hingebe. Aber das geschah nie, und Hannah erinnerte sich, dass donnerstags die Frauen in der Fabrik den Tanz der Seejungfrau tanzten, bis ihnen die blaue Farbe über Rücken, Hintern und Schenkel triefte.
    Sie stellte sich James im Kreis der grölenden, klatschenden Männer vor. Er würde nicht in ihr Zimmer kommen. Sein Bedarf war gedeckt.
    Tagsüber wanderte Hannah oft stundenlang durch das Haus und über das Anwesen. Oder sie starrte zum Fenster hinaus über das flache Ackerland bis zu den blaugrauen Bergen im Westen und dachte an Thomas.
    Sie erinnerte sich daran, wie sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Sie war elf Jahre alt gewesen. Er war ihr damals so viel größer, älter und erwachsener vorgekommen, aber er konnte höchstens sechzehn gewesen sein. Hannahs Vater hatte gerade ihr Kindermädchen entlassen.
    »Ungehobelt und blaustrümpfig«, hatte er geschimpft und seine perfekt in Form gezupften Augenbrauen gerunzelt.
    »Außerdem bist du für ein Kindermädchen allmählich zu alt«, hatte er hinzugefügt. »Ich werde einen Hauslehrer einstellen. Jemanden, der in Oxford studiert hat.«
    Hannah hatte ihr Kindermädchen geliebt. Sie hatte geweint und ihren Vater angefleht, es wieder einzustellen, aber er war unerbittlich.
    »Für meine Prinzessin nur das Beste«, hatte er gesagt. Hannah hatte sich vorgenommen ihren neuen Hauslehrer nicht zu mögen.
    Dann stand er vor ihrer Haustür, den Hut in der Hand und ein Bücherpaket unter den Arm geklemmt, genau wie auch in den folgenden drei Jahren. Er war sehr groß und zog jedes Mal verlegen die Schultern hoch, wenn er Arthur Cheshire die Hand schüttelte. Hannah

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