Scatterheart
schwarzen, stechend riechenden Masse herum.
Hannah tastete nach der Tasche, die sie in ihr graues Baumwollkleid genäht hatte. Thomas Behrs Taschentuch war immer noch da, ein kleiner, erbärmlicher Stofffetzen, genauso brüchig wie das bisschen Hoffnung, an das sie sich klammerte.
Sie achtete nicht auf die Männer, die an ihr vorbeigingen und deren Haut von der Sonne rot und rissig war. Sie starrte standhaft auf ihre Zehen und versuchte sich möglichst unsichtbar zu machen. Tabby spuckte einen schwarzen Auswurf aus.
Etwas Weißes flatterte vor Hannahs Füße. Erschrocken sah sie hoch und blickte in die blauen Augen von James. Es schien ihm peinlich zu sein, sich hier, unter diesen einfachen Männern und straffälligen Frauen, aufzuhalten. Aber er lächelte Hannah an und schaute dann auf sein Taschentuch, das vor ihr im Staub lag.
»Wer Schiffbruch leidet, kommt oft auch in den Hafen«, murmelte Tabby.
»Geh nach Hause, James«, sagte Hannah ausdruckslos. »Hannah«, begann dieser, »ich muss mit dir sprechen. Ich werde mein Erbe bekommen. Aber es gibt eine Klausel, die besagt, dass ich verheiratet sein muss. Deshalb möchte ich dich zu meiner Frau nehmen.«
Hannah schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ich habe hier in der Nähe etwas Land gekauft – einhundert Morgen – und zehn Sträflinge als Diener angestellt. Es gibt dort ein großes Haus mit weißem Porzellan, Chintzsesseln und Samtvorhängen. Es wird dir gefallen. Deshalb hat es auch so lange gedauert, bis ich dich holen konnte. Ich wollte erst alles fertig haben.«
Sie ignorierte ihn. Er packte sie am Handgelenk.
»Hannah, ich weiß doch, dass du mich tief in deinem Herzen liebst.«
Hannah wollte sich von ihm befreien, aber er drückte noch fester zu.
»Es könnte für dich viel schlechter werden als jetzt«, sagte er drohend. »Ich weiß, was du getan hast.«
Hannah schloss die Augen und stellte sich Thomas vor, wie er an die Stuckdecke ihres Wohnzimmers schaute und über die Geschichten lachte, die sie ihm erzählte.
»Ich habe dich in der Sturmnacht gesehen. Zusammen mit Dr. Ullathorne. Ich weiß, dass du ihn gestoßen hast.« James sprach gedämpft, damit niemand ihn hörte.
Hannah öffnete die Augen und stieß ein freudloses Lachen aus. »Nun, mach schon«, blaffte sie. »Sag dem Vorsteher,was ich getan habe. Sag es Captain Gartside. Du kannst es gern auch dem Gouverneur Macquarie erzählen. Ich jedenfalls werde nur mit einem Mann von hier fortgehen.«
»Er ist tot«, sagte James.
»Hör auf. Ich komme nicht mit dir mit.«
»Dein kostbarer Behr. Er ist tot.«
Hannah schüttelte den Kopf.
»Er ist verrückt geworden«, fuhr James fort. »Er hat sich Befehlen widersetzt und dann im Rausch einen Vorgesetzten getötet. Man hat ihn gehängt.«
»Ich glaube dir nicht«, entgegnete Hannah.
James zuckte die Achseln und drückte ihr etwas Kaltes, Hartes in die Hand. Dann bückte er sich und hob sein Taschentuch auf.
»Nächste Woche bin ich wieder hier«, sagte er und ging.
»Falsche Kröte«, zischte Tabby. »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«
Hannah sah sich an, was er ihr gegeben hatte. Es war eine runde Brille mit silbernem Rand. Ein Brillenglas fehlte, das andere war verschmiert und zerbrochen. Die Bügel waren verbogen.
Thomas’ Brille.
Einen Augenblick lang war ihr, als würde der Stock des Fabrikvorstehers Green tausendmal auf sie einschlagen. Einen Augenblick lang war ihr, als würde sie in tausend Stücke zerspringen und vom Wind fortgetragen werden.
Aber nur einen Augenblick lang. Dann spürte sie nichts mehr.
An diesem Abend vergrub sich Tabby in ihren schmierigen Wollhaufen und stand nicht mehr auf. Hannah fand sie am nächsten Morgen. Ihre Amseläuglein blickten umwölkt und leer, ihre rechte Hand war zu einer Klaue gekrümmt, ihre linke um eine schwarze Feder geklammert. Hannah spürte noch, wie sie ihr Leben aushauchte. Jetzt war sie von allen verlassen. Von ihrer Mutter, ihrem Vater, von Long Meg, Molly, Thomas Behr. Und nun auch von der verrückten Alten.
Als James am nächsten Sonntag sein Taschentuch vor ihr fallen ließ, bückte sich Hannah und hob es auf.
Scatterheart verließ den Strand und wanderte allein weiter.
James nahm sie noch am selben Tag mit nach Hause. Hannah besaß nichts, was sie hätte einpacken müssen – das Taschentuch von Thomas steckte in ihrem Kleid. Sie zog es hervor und wickelte die zerbrochene Brille darin ein.
James sprach kurz mit dem Vorsteher, unterschrieb ein
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