Schach mit einem Vampir
versäumen. Es war ein entscheidendes Treffen für den weiteren Verlauf der Partie mit dem Detektiv! Blitzschnell verließ der Untote seinen Standpunkt, kletterte kopfüber die Wand hinab und verschwand in der Dunkelheit einer Seitenstraße. Kurz darauf brauste ein alter schwarzer Wagen davon und fädelte sich in den fließenden Verkehr der Stadt ein.
Wenig später stieg Klara Meyers aus der Duschkabine und trocknete sich mit einem weichen Frotteehandtuch ab. Von dem unheimlichen Beobachter vor ihrem Badezimmerfensterhatte sie die ganze Zeit über nichts mitbekommen. Die drohende Gefahr, die über ihr geschwebt hatte, war fürs Erste gebannt. Bald schon ging sie zu Bett. Doch es sollte nicht das letzte Mal in dieser Nacht sein, dass sich der Unheimliche vor ihrem Fenster aufhielt. Er würde zurückkehren. Bei seinem nächsten Besuch würde er sie nicht nur von außerhalb der Wohnung beobachten, sondern er würde dann kommen, um sie zu holen …
***
Das Gewitter zog rasch näher. Vereinzelte dicke Regentropfen klatschten auf die Windschutzscheibe des FBI-Fahrzeugs und kündigten einen Platzregen an. Harris schaltete die Scheibenwischer auf Intervall und lenkte den Wagen dicht an den Rand des Central Parks heran. 110te Straße, Nord, hatte Fraizer ihm auf dem Zettel vermerkt, den er unter dem Wischblatt des Einsatzfahrzeugs gefunden hatte. Er parkte den Wagen und kontrollierte noch einmal nervös seine Dienstwaffe. Dann griff er sich eine Taschenlampe und verließ die scheinbare Sicherheit des Fahrzeugs. Ein leichter Wind war aufgekommen, verwirbelte die schwüle, smogdurchsetzte Luft. Wieder zuckte ein Blitz vom Himmel. Nach einer Weile folgte der Donnerschlag. Harris nahm sich vor, sich zu beeilen. Er wollte auf keinen Fall von einem Wolkenbruch überrascht werden, um dann triefnass, mit seinem Gefangenen Fraizer, zurück in das FBI-Büro zu fahren. Bis dahin sollte die Festnahme erledigt sein. Es war kurz nach Mitternacht. Harris beobachtete aufmerksam seine Umgebung. Doch von Fraizer war nichts zu sehen. Wie eine dunkle Wand erhoben sich die Bäume des Parks vor ihm. Hinter ihm war das extreme Gegenteil zur Schwärze des Parks wahrzunehmen. Erleuchtete Hochhäuser und helle Straßenlaternen sorgten für genügend Licht. Das allgegenwärtige Dröhnen des Verkehrs war als Hintergrundgeräusch zu hören. Harris nahm es nicht mehr wahr. Als New Yorker lebte man tagtäglich damit. Über diesem Gesamtbild lag der dunkle, wolkenverhangeneHimmel. Der Central Park wirkte wie eine stockdunkle Höhle, in der sich eine versteckte Gefahr verbarg. Harris kannte diese Ecke des Parks sehr gut. Oft fand er hier in seiner Mittagspause Erholung. Er wusste um den schmalen Weg, der einige Schritte von ihm entfernt in den Park hineinführte. Über diesen gelangte man an einen schön angelegten See mit Bänken. Dort konnte man sich am Tage ausruhen und wunderbar entspannen. Wenn die Sonne schien, tummelten sich viele Menschen im Park, die sich von der Großstadt erholen wollten. Unter ihnen waren Jogger und Naturfreunde, gestresste Angestellte und Familien, die ihrem Nachwuchs einen Ausschnitt der Natur nahebringen wollten. Doch zu dieser späten Uhrzeit streiften wohl nur ein paar Obdachlose oder Junkies im Park umher, wenn diese nicht aufgrund des heraufziehenden Unwetters Zuflucht in einer U-Bahn-Station oder in irgendeinem Hauseingang gesucht hatten. Harris blickte erneut auf seine Armbanduhr. Gleich war es zehn nach zwölf. Hatte Fraizer ihn versetzt? Seine Nervosität steigerte sich. Er versuchte, ruhig zu atmen. Harris ging einige Schritte auf den dunklen Weg zu. In diesem Moment wirkte dieser auf den FBI-Agenten, wie der alles verschlingende Schlund einer Bestie. Da hörte er eine leise Stimme.
„Hierher, Harris.“ Sie war mehr ein Flüstern. Sofort strömte das Adrenalin durch Harris Adern. Für den G-Man war klar, dass es sich nur um Fraizer handeln konnte. Denn wer sonst als der Detektiv erwartete ihn an diesem Ort? Er rief: „Fraizer, kommen Sie hierher zu mir ins Licht. Ich will Sie sehen. Und keine faulen Tricks, sonst werde ich andere Seiten aufziehen!“ Während er die Worte aussprach, hatte er schon seine Waffe gezogen, sie entsichert und schussbereit in die Rechte genommen. In seiner Linken hielt er die eingeschaltete Taschenlampe und leuchtete zwischen die Bäume und Sträucher vor sich. Aber nichts war zu sehen.
„Kommen Sie zu mir. Ich will Ihnen etwas zeigen“, hörte er erneut die heisere Flüsterstimme.
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