Schach mit einem Vampir
Harris war angespannt und hoch konzentriert. Er bewegte sich auf den Weg zu, der sich zwischen den Bäumen und dem Buschwerk im Dunkelnverlor. Die Taschenlampe vermochte nur einen Teil des Weges auszuleuchten. Der Lichtstrahl warf lange, unheimliche Schatten, als er auf die dicken Baumstämme traf. Doch plötzlich war da noch etwas anderes. Hinter einem zerfurchten Baumstamm, in ungefähr fünf Metern Entfernung zu seiner Position, erkannte der FBI-Agent die Umrisse eines Menschen. Die Person wurde vom Stamm halb verdeckt.
„Fraizer, sind Sie das?“, fragte er in die Richtung des Schattens und im gleichen Moment kam ihm seine Frage töricht vor. Denn Fraizer hatte ihn hierher bestellt und ihn zuvor mit seinem Namen angesprochen. Harris beschleunigte seinen Schritt auf die Schattengestalt zu. „Ich will Ihre Hände sehen! Sofort!“, stieß er im Befehlston hervor und rannte los, ohne seinen Blick abzuwenden. Mit vorgehaltener Waffe erreichte er den alten, knorrigen Baum. Doch die Gestalt war verschwunden. Ruckartig stieß Harris um den Stamm herum. Dabei leuchtete die Taschenlampe immer parallel zur Mündung seiner Waffe. Hinter dem Baum war … niemand! Ein Blitz erhellte für Sekunden den ganzen Bereich zwischen den umliegenden Bäumen. Auch dort war niemand zu sehen. Der Donner krachte so gewaltig, dass Harris unwillkürlich zusammenzuckte. Wind setzte ein und ließ die Blätter in den Baumwipfeln rauschen. Und dann, urplötzlich, öffnete der Himmel seine Schleusen. Binnen Sekunden war Harris nass bis auf die Knochen. Dicke Tropfen klatschten prasselnd auf die Vegetation und den Boden nieder. Hektisch blickte sich Harris um, leuchtete wild die Umgebung ab. Aber kein Mensch war zu sehen. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er den Regen von seiner Stirn. Er beschloss, den Weg zurück zum Auto zu gehen. Langsam wurde ihm die ganze Sache unheimlich. Wie war es Fraizer nur gelungen, von einer Sekunde auf die andere zu verschwinden? Er hatte ihn doch keine Sekunde aus den Augen gelassen. Und dann beschlich ihn mit einem Mal das beängstigende Gefühl, aus verschiedenen Richtungen beobachtet zu werden. War Fraizer nicht allein gekommen und versteckten sich die übrigen Sektierer imumliegenden Buschwerk? Doch warum entdeckte er dann niemanden von ihnen?
Reiß dich zusammen. Du bist FBI-Agent , versuchte er sich zu beruhigen.
„Verdammter Mistkerl“, entfuhr es ihm wütend. Da zuckte erneut ein Blitz vom Himmel. Dieser war so grell, dass der schwarze FBI-Mann für einen Moment von ihm geblendet wurde. Als sich seine Augen nach der Lichtflut wieder an die Dunkelheit gewöhnt hatten, stand nicht einmal eine Handbreit vor ihm eine Person. Er hatte sie nicht kommen hören!
„Fraizer? Sind Sie das?“, fragte er erstaunt und versuchte noch, die Waffe emporzureißen und auf die dunkle Gestalt anzulegen. Doch der Schattenmann war schneller. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung und etwas bohrte sich mit brutaler Gewalt in Harris Halsschlagader. Er verspürte einen unbeschreiblichen Schmerz, wie er ihn in seinem Leben noch nie zuvor empfunden hatte. Sein Schmerzensschrei sowie das dreimalige Aufbellen seiner Waffe, als die aus schierer Verzweiflung abgefeuerten Projektile die Pistole verließen, verschmolzen mit dem grollenden Getöse eines heftigen Donnerschlags. Die verirrten Kugeln schlugen in einen nahestehenden Baumstamm ein. Dann kam für FBI Special Agent Josef Harris der erlösende Tod und der Fremde ließ den Leichnam einfach respektlos zu Boden fallen, bevor er sich an ihm mit einem großen Messer zu schaffen machte.
Wenig später loderte im Central Park ein Feuer auf, das nur mühsam nach einer halben Stunde vom starken Regen gelöscht wurde. Harris Leiche sollte erst am nächsten Morgen von einem Jogger gefunden werden. Auch der schwarze FBI-Agent wurde ein Opfer des sogenannten Schachspielers . Das Opfer eines unheimlichen Wesens, das man als normal denkender Mensch in das Reich der Fantasie und der Mythen verbannen musste. Und dennoch streifte gerade solch ein blutrünstiger Vampir durch Manhattan und hatte sich dort seine vierte Beute geholt.
***
Der Wagen fuhr in der Dunkelheit durch das aufbrausende Unwetter. Steve Fraizer hatte den langen Weg zum Haus des Professors auf sich genommen, um den Ratschlag seines Freundes Dr. Lewis Goldstein zu befolgen und sich von Professor Ashwill weitere Erkenntnisse zu den Verbrechen des Schachspielers darlegen zu lassen. Fraizers Blick glitt auf die grüne Digitalanzeige
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