Schach mit einem Vampir
Gierig verschlang der Agent die Buchstaben darauf. Nachdem er sich wieder etwas gefasst hatte, rief er zwei weitere FBI-Agents zu sich. „Leute, hört mir gut zu“, lenkte er ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Wir kennen nun die vermutliche Identität des Schachspielers . Er hat Agent Harris mit diesem Zettel hergelockt und ihn dann wie Vieh abgeschlachtet. Ich verlange nun von euch, dass ihr das ganze Programm zu seiner Ergreifung abspult, um diesen Schweinehund endgültig zu fangen. Beginnt in seinem Haus, danach in seinem Büro. Ich will, dass dort jedes Staubkorn unter die Lupe genommen wird. Sucht nach seinem Auto, befragt seine Frau, seine Freunde und Bekannten nach ihm und seinem möglichen Aufenthaltsort. Bringt ihn zu mir in mein Büro, dann werden wir sein Geständnis schon bekommen. Und jetzt holt mir diesen sauberen Mister Steve Fraizer. Er wird sich für seine barbarischen Verbrechen vor Gericht verantworten müssen. Also, wenn ihr schießen müsst, dann verletzt ihn nur! Wir brauchen diesen Mistkerl lebend!“ Tonelli las noch einmal den Text auf dem Beweisstück, bevor er ihn an den jungen Beamten zurückgab:
Habe wichtige Neuigkeiten zum Schachspieler. Bitte kommen Sie um Mitternacht zum Central Park, 110te Straße, Nord.
Fraizer.
Etwa eine Stunde, nachdem die Polizei und das FBI die intensive Großfahndung eingeleitet hatten, fand eine Funkstreife Fraizers Wagen an der Grand Central Station, 42te Straße, in einem Parkhaus verlassen vor. Die Polizei vermutete daraufhin, dass der Gesuchte mit dem Zug in Richtung Norden, vielleicht nach Kanada, geflüchtet sei. Und die parallel zur Fahndung stattfindende Durchsuchung des Detektivbüros förderte eine weitere Überraschung ans Tageslicht. Man stellte das Schachspiel sicher, zu dem die dreiFiguren gehörten, die man bei den letzten Opfern des Schachspielers gefunden hatte, und ordnete sie der Sonderanfertigung aus Ungarn eindeutig zu. Die Seriennummern stimmten exakt überein. Bestand nun auch nur noch der kleinste Zweifel an der Schuld von Steve Fraizer? Für Tonelli war er der Schachspieler , der Serienkiller, der Manhattan heimsuchte. Gewiss, er agierte sicherlich nicht alleine. Doch über Fraizer würde man an seine Hintermänner gelangen und dem ganzen Spuk um diesen Schachspielerzirkel , wie Tonelli den vermeintlichen Geheimbund für sich selbst betitelte, ein Ende bereiten. In Zukunft würde die rätselhafte Sekte keine weiteren Opfer mehr fordern. Die Großfahndung nach Steve Fraizer lief auf Hochtouren. Nun wurden auch die Züge in Richtung Norden durchsucht. Und sollte sich Fraizer noch im Stadtgebiet aufhalten, so war es nur eine Frage der Zeit, bis man ihn verhaften würde. Tonelli hatte sich gründlich in der Person des Detektivs getäuscht. Warum hatte er seinem Vorgesetzten Harris nicht in diesem Punkt vertraut? Dieser war, im Gegensatz zu ihm, von Fraizers Schuld von Anfang an überzeugt gewesen. Nun machte sich Tonelli große Vorwürfe. Er fühlte sich wie ein Verräter. Denn wahrscheinlich war es gerade seine Kritik an der Verdächtigung Fraizers gewesen, weshalb Harris ihn nicht über die Nachricht und das Treffen mit dem Detektiv verständigt hatte. Wäre er am Treffpunkt im Central Park bei seinem Vorgesetzten gewesen, hätte ihm gegen den Verbrecher Fraizer zur Seite gestanden, so lebte Harris womöglich noch ... Jene düsteren Gedanken beflügelten den jungen FBI-Agenten zusätzlich in seinem Streben, den mutmaßlichen Schachspieler dingfest zu machen. Er war absolut überzeugt davon, dem Detektiv schon bald Handschellen anlegen zu können. Doch in diesem Punkt irrte er sich gewaltig ...
***
Ein Geräusch riss Fraizer aus dem Schlaf. Es war das Quietschen von Reifen auf dem glatten Betonboden, dasinnerhalb des Parkhauses ein zigfaches Echo auslöste. Erschrocken fuhr der Detektiv im Autositz auf, setzte sich kerzengerade hin und blickte irritiert umher. Für einen kurzen Moment war er ohne Orientierung, doch dann erinnerte er sich, an welchem Ort er sich befand. Er hatte seinen Wagen in die Tiefgarage unter der Grand Central Station an der 42ten Straße gefahren und ihn dort geparkt. Nachdem er in der Nacht von Professor Ashwills Haus bis hierher gefahren war, wollte er sich nur ein paar Minuten ausruhen, bevor er seine Ermittlungen fortführte. Doch dann war er fest im Auto eingeschlafen. Der Stress und die Anstrengungen der letzten Tage, ganz zu schweigen von seiner körperlichen Umstellung auf die Nachtarbeit, hatten ihren
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