Schach mit einem Vampir
Tribut gefordert. Der Detektiv schaute auf die Uhr im Armaturenbrett. Es war kurz nach sieben.
„Verdammt, schon so früh!“ Steve Fraizer ärgerte sich. Ein paar Minuten der Erholung, die er sich hatte gönnen wollen, hatten sich zu ein paar Stunden festem Schlaf ausgedehnt. Er rieb sich über die verschlafenen Augen, vertrieb den letzten Rest Müdigkeit und nahm noch einmal den kleinen Fetzen Papier zur Hand. Es handelte sich eindeutig um einen Fahrschein, der hier in der U-Bahn-Station der Grand Central Station gelöst worden war. Doch was hatten die Buchstaben und Zahlen auf seiner Rückseite zu bedeuten? 178 N-E . Er überlegte, ob er dem überirdisch liegenden Kopfbahnhof einen Besuch abstatten sollte. Gab es dort auf den Bahnsteigen irgendeinen Hinweis auf den rätselhaften Code? Doch er verwarf diesen Gedanken wieder, so schnell er gekommen war. Der Hinweis auf die U-Bahn war eindeutig genug. Des Rätsels Lösung schien für Fraizer nur unter der Erde, in der Metro, zu finden zu sein. Bevor Fraizer das Fahrzeug verließ, kontrollierte er seine 38er Automatik. Dann öffnete er das Handschuhfach des Chryslers und holte daraus die Sachen hervor, die Professor Ashwill ihm übergeben hatte. Einen Moment starrte er auf die Dinge: ein Kruzifix, eine Ampulle mit Weihwasser und zwei spitze Eichenpflöcke. Dann lachte er lauthals los und schüttelte dabei amüsiert den Kopf. Die Angespanntheit derletzten Tage machte sich Luft und fiel wie ein düsterer Schatten für einen Moment von ihm ab. Er lachte Tränen, schnappte nach Luft.
„Was für ein Blödsinn! Der alte Doc Goldstein und der verrückte Professor wollten mich nur veralbern. Vermutlich haben die beiden schon miteinander telefoniert und sich über mich lustig gemacht. Sie ziehen eine Show ab und ich gehe ihnen voll auf den Leim. Pah, Vampire, was für ein Witz!“ Wieder lachte Fraizer laut los. „Fraizer, hüten Sie sich vor den Vampiren … sie wollen Ihr Blut trinken“, imitierte der Detektiv voller Sarkasmus Ashwills Stimme. „Und ich Idiot hätte es fast geglaubt. Ich muss mich wieder auf meinen Fall konzentrieren, auf die Realität. Nur so kann ich Rays Mörder fangen.“
Kurz, nachdem er sich wieder emotional unter Kontrolle gebracht hatte, stieg er aus dem Fahrzeug aus und lief in Richtung des Zugangs zur U-Bahn. Trotz seiner Skepsis gegenüber den Worten des Professors steckte er sich einen der Holzpflöcke in einen Strumpf und zog sich das Hosenbein darüber. Er tat dies nicht, weil er befürchtete, auf einen Vampir zu treffen, sondern vielmehr aus dem Grund, diesen spitzen Gegenstand als zusätzliche Waffe, sozusagen als Ass im Ärmel , nutzen zu können. Den Rest der Vampirbekämpfungsmittel ließ er im Handschuhfach zurück. Alles, was der Professor ihm über die Untoten erzählt hatte, verbannte er nun ins Reich der Märchen. Doch schon bald sollte der Detektiv erkennen, dass Professor Ashwill ihn durchaus nicht angelogen hatte. Es existierte tatsächlich ein Vampir in New York ...
***
Er löste eine Bahnsteigkarte und passierte unter den Blicken einer Bahnaufsicht ein Drehkreuz. Dann bewegte sich Fraizer mit den anderen Menschen durch die enge Betonröhre, die zum Teil mit hellen Kacheln versehen worden war und von kaltem Neonlicht durchflutet wurde, zu einer Rolltreppe, die ihn zum unterirdischen Bahnsteig der Linie7 brachte. Unter der Grand Central Station kreuzten sich die Gleise der U-Bahn-Linie 7, die von dem Westen Manhattans bis in New Yorks Stadtteil Flushings fuhr, sowie die Linien 4, 5 und 6, die eine Verbindung von Brooklyn bis zur Bronx herstellten. Die vielen Menschen, die neben dem Detektiv herliefen, wirkten gestresst und die meisten waren in Eile. Zwar fuhren die Züge in kurzen, regelmäßigen Intervallen, doch keiner der Pendler wollte den nächsten Zug verpassen und auf den folgenden warten müssen. Fraizer achtete auf jede Kleinigkeit bei der Suche nach der seltsamen Zahlen-Buchstabenkombination. Sogar die Werbeplakate an den Wänden las er im Vorbeigehen. Doch es fand sich nichts Brauchbares. Auch auf dem Bahnsteig selbst fand er keinen Hinweis. Er ging ihn mehrere Male auf und ab, achtete dabei sogar auf Graffitis an den Wänden, doch er wurde nicht fündig. Zwar waren Zahlen in dem unterirdischen Bauwerk allgegenwärtig, zum Beispiel auf der Anzeigetafel, die den Reisenden vermittelte, wann der nächste Zug eintraf. Oder an verriegelten Türen, die nur für das Sicherheitspersonal zur Verfügung standen. Doch
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