Schachfigur im Zeitspiel
Baumstamm, der auf den Strand herausgespült worden war, band seine Mokassins auf und legte den Kopf auf die Arme. Er schloß die Augen und lauschte der Brandung und den krächzenden Möwen. Diese unmenschlichen, ungastlichen Geräusche … Wie viele Millionen Jahre hatten sie angedauert? Sie hatten existiert, lange bevor es Menschen gegeben hatte, und sie würden noch lange nach ihnen existieren.
Er dachte: Es wäre so leicht, ins Wasser hinauszugehen und nicht mehr zurückzukommen. Ich müßte nur einfach anfangen zu gehen.
Der kalte Wind blies ihm ins Gesicht, und er fröstelte. Wie lange konnte er hier noch sitzen bleiben? Nicht mehr sehr lange. Als er die Augen öffnete, sah er, daß es merklich dunkler geworden war. Die Sonne war inzwischen untergegangen. Weit weg, im Norden, verschwand eine Schar Vögel hinter den Hügeln.
Wie Kinder, dachte er. Sie bestrafen mich, indem sie mich hier aussetzen. Sie sind nicht fähig, die Verantwortung selbst zu tragen, deshalb haben sie mir die Schuld an seinem Tod in die Schuhe geschoben. Und wenn ich die Chance hätte, ihn wieder zu töten, dann würde ich es tun. Bei Gott, ich wünschte, ich hätte diese Chance, dachte er. Und damit stand er von dem Baumstamm auf und ging ziellos weiter, wobei er Muscheln aus dem Sand davonkickte.
Ein großer Stein polterte geräuschvoll den Klippenhang herunter. Unwillkürlich rannte Parsons los. Der Stein rollte auf dem Strand aus und mit ihm ein Regen kleinerer Steine. Parsons schirmte die Augen ab und blickte hoch.
Dort oben stand eine Gestalt auf der Klippe und winkte ihm. Die Gestalt legte ihre Hände an den Mund und rief etwas, aber das Donnern der Brandung übertönte es. Er sah nur den Umriß der Gestalt und konnte nicht feststellen, ob es ein Mann oder eine Frau war oder was sie trug. Sofort begann er wild zurückzuwinken.
»Hilfe!« brüllte er, stürmte auf die Klippe zu, gestikulierte und hoffte damit klarzumachen, daß er nicht hochklettern konnte. Stolpernd hastete er weiter und versuchte einen Weg hinauf zu finden.
Über ihm machte die Gestalt Bewegungen, deren Sinn er nicht begreifen konnte. Nach Atem ringend hielt er an und versuchte zu verstehen, was sie ihm mitteilte. Dann verschwand die Gestalt von einem Augenblick zum anderen. Er blinzelte verwundert und spürte gleichzeitig ein betäubendes Entsetzen in sich wachsen. Die Person dort oben hatte sich von den Klippen abgewandt und war davongegangen.
Vor Unglauben erstarrt blieb er stehen, war nicht fähig, sich vom Fleck zu rühren. Und während er dort stand, erhob sich auf der Klippe eine metallische Kugel und schwebte rasch zum Strand herunter.
Das Zeitschiff landete vor ihm auf dem Sand. Wer würde herauskommen? Er wartete, und sein Herz schlug wie rasend.
Die Tür ging auf, und Loris erschien in der Öffnung. Sie trug nicht mehr das Indianerkostüm, sondern hatte sich umgezogen und war jetzt wieder in das graue Gewand des Wolfs-Clans gekleidet. Ihr Gesichtsausdruck hatte viel von seinem Schrecken und Kummer verloren, und er merkte, daß für sie eine beträchtliche Zeit verstrichen war.
»Hallo, Doktor«, sagte sie.
»Ich bin deinetwegen zurückgekommen«, sagte sie und fügte gleich darauf hinzu: »Fast ein Monat ist vergangen. Es tut mir leid, daß es so lange gedauert hat. Wie lange war es für dich? Du hast keinen Bart, und deine Kleider sehen noch genauso aus … Ich hoffe, es ist derselbe Tag.«
»Ja«, murmelte er, Und seine Stimme klang rauh und krächzend wie die eines Fremden.
»Komm schon«, sagte sie und winkte ihm. »Steig ein. Ich bringe dich in deine Zeit und zu deiner Frau zurück, Doktor.« Sie lächelte ihn an, und es war ein gezwungenes Lächeln. »Du hast es nicht verdient, hier zurückgelassen zu werden.« Sie fügte hinzu: »Niemand aus deiner Zivilisation würde dich jemals hier finden, dafür hat Helmar gesorgt. Dies ist das Jahr 1597. Für eine sehr, sehr lange Zeit wird niemand hierherkommen.«
Zitternd trat er in das Zeitschiff.
Nachdem sie die Tür hinter ihm geschlossen hatte, sagte er: »Warum hast du deine Meinung geändert?«
Loris sagte: »Eines Tages wirst du es verstehen. Es hat mit etwas zu tun, was wir beide zusammen getan haben, etwas, was in diesem Augenblick nicht wichtig zu sein schien.« Wieder lächelte sie ihn an, aber dieses Mal war es ein rätselhaftes, fast zärtliches Lächeln, das ihre vollen, dunklen Lippen bewegte.
»Ich weiß es zu würdigen«, sagte er.
»Willst du, daß ich dich auf direktem
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