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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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eine Zigarette an. Ein paar Minuten lang
rauchte sie schweigend.
    »Sie können gerne hierbleiben und sich um
Catherines Dinge kümmern«, sagte Shahid. »Ich
habe einen Platz in einem Luftbus für die Rückfahrt zum
Institut.«
    Caroline streckte den Arm zur Lehne des Vordersitzes aus. Ein
biegsamer Müllschlucker wuchs darauf zu, saugte ihre
Zigarette ein und begann, die Luft zu reinigen. Der Rauch wollte
auf einmal nicht mehr in ihre Lungen gehen. Er fühlte sich
dick an, eine feste, schleimige, graue Substanz, die ihr im Hals
steckenblieb. »Gut.«
    »Caroline«, sagte Shahid so leise, daß sie
sich zu ihm umdrehen mußte, um es zu hören, »es
würde Ihnen helfen, wenn Sie weinen würden.«
    »Nein«, sagte Caroline. »Wissen Sie, was
passiert, wenn ich weine? Ich plappere los. Ich spucke den
unglaublichsten Quatsch aus – tränenreiche
Rechtfertigungen, melodramatisches Geschrei gegen den Himmel und
grandiose Pläne, mein Leben retten –, und wenn ich
damit fertig bin, diesen ganzen Stuß zu erfinden, fange ich
an zu lachen und kann nicht mehr aufhören. Und dazu habe ich
einfach nicht die Kraft, Patrick. Wirklich nicht.«
    Shahid legte seine Hand auf ihre. »Sie müssen
irgendwohin mit der Kraft, die Sie haben, Caroline.«
    Caroline antwortete nicht. Sie hatte nicht das Gefühl,
daß Shahid besser wußte als sie, wie man das machte,
oder warum quälte er sich sonst so mit einer Datenanomalie
herum und versuchte, sie zu etwas Göttlichem zu
erhöhen? Sie wollte ihn danach fragen, was er in der
Institutskapelle gesagt hatte, was es für ihn bedeutete,
aber sie war der Fragerei einfach überdrüssig. Sie
versuchte sich Catherine vorzustellen, doch jedes Bild, das sie
sah, wirkte flach, eine Fotografie von einem Kind, der sogar die
dreidimensionale Rundheit eines Holos fehlte. Durchs Fenster sah
sie, wie Jason mit ihrem Vater redete und ihn vom Wagen
fernhielt. Die Lippen der beiden bewegten sich lautlos hinter dem
kugelsicheren Glas.
    In dieser Nacht weckte sie das Telefon abrupt aus einem
unruhigen Schlaf. Sie tastete in der fremden Dunkelheit des
Gästehauses im Meadows Home danach.
    »Miss Bohentin? Tut mir leid, daß ich Sie wecken
muß. Ich habe hier einen Anruf für Sie – ein
Notfall. Einen Moment, bitte.«
    »Was… Wer ist da? Wer sind Sie?«
    »Hier ist Paul Winter, Caroline. Hör zu – ich
bin in Schwierigkeiten.«
    Paul Winter? Sie saß schlaftrunken auf der
Bettkante und konnte die Stimme zuerst nicht unterbringen. »Robbie? Bist du das?«
    »Ja.«
    »Mein Gott! Was ist los? Wo steckst du?«
    »Sie sind tot, Caroline. Johnny Lee Benson und Armand.
Ich habe sie getötet.«
    Paul Winter. Armand. Sie sah Bill Prokops verzweifeltes
Gesicht, die Mordbilder, die er ihr am Blumenbeet
aufgedrängt hatte, und mit einem Schlag kam ihr zu
Bewußtsein, was Robbie gesagt hatte. »Und deine
Tochter auch«, fuhr seine Stimme fort. »O Gott, es
tut mir leid, Caroline. Ich weiß, du hast sie
geliebt.«
    Als sie wieder etwas herausbekam, sagte sie:
»Robbie… Robbie …«
    »Ich habe Armand auch geliebt.«
    »Hast du Blaue eingeworfen, Robbie? Oder Psychos? Hast
du Brainies da, die dich wieder runterholen?«
    »Nichts davon. Es tut mir sehr leid wegen Catherine,
Liebes.«
    Jetzt war die Stimme auf subtile Weise nicht mehr seine.
Caroline, deren Hand immer noch auf dem Telefon lag, kniff die
Augen fest zu. »Ich… wo bist du? Warum hast du
gesagt, du heißt Paul Winter?«
    »Er war dort. Am Sweetwater. Er hat alles gesehen. Aber
es war zu spät.«
    Das ergab alles keinen Sinn. Robbies Stimme wurde etwas tiefer
und ein wenig undeutlich, so daß seine Worte noch schwerer
zu verstehen waren. Sweetwater? Sie hörte seine
Panik, seine Desorientierung, hörte, wie er sich im Dunkeln
verzweifelt an sie klammerte…
    … und die Erinnerung war da, stark und lebhaft und so
unmittelbar wie alles andere in dem Zimmer, unmittelbarer, real. Timmy, der an sie gekuschelt im Bett lag, die kleine
Hand um seinen Kissenbezug geklammert, die Stimme undeutlich von
Ohrenschmerzen und Müdigkeit. Timmy. Das Geräusch
seines erschwerten Atmens, sein stämmiger kleiner
Rücken unter ihrer Hand. Real. Lebendig.
    »Wo bist du?« fragte sie.
    »In Wyoming?«
    »Warum?«
    »Geld. Aus einem früheren Leben.« Die Stimme
wurde klarer und fester.
    »Und du bist in Schwierigkeiten…«
    »Ja. Nein. Nein, ich…«
    »Robbie, hör mir zu. Hör zu.« Sie sprach
jetzt langsam und sehr

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