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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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stieg dann aber vorsichtig über
sie hinweg und ging unter die Dusche. Zwanzig Minuten später
glitt er auf den Sitz des Luftwagens. Die nassen Blätter aus
dem Wald, die an seinen Sohlen klebten, streifte er auf dem
grauen Teppich des Wagens ab, der am vergangenen Morgen noch
sauber gewesen, nun jedoch schmutzig war, und setzte mit dem
Wagen vorsichtig aus dem Versteck unter den Bäumen
zurück. Er hob lautlos ab, ging nicht höher als drei
bis fünf Meter, blieb auf manueller Steuerung und behielt
sowohl das Gelände unter sich als auch die Diagramme auf dem
Bildschirm im Blick, mit deren Hilfe er seine Route in der
vergangenen Nacht exakt zurückverfolgen konnte.
    Alles schien ihm mühelos von der Hand zu gehen. Er hielt
nach dem schwarzen Luftwagen Ausschau, aber von dem war nichts zu
sehen. Er richtete seine Aufmerksamkeit nach innen; auch dort
nichts Unwillkommenes. Die Erinnerungen, die tags zuvor in ihm
miteinander im Kampf gelegen hatten – die Erinnerungen von
Mallie, Paul Winter und Robbie Brekke –, rührten sich
nicht.
    Was immer das für eine verrückte Sache gewesen sein
mochte, es war vorbei. Dies war der Tag, an dem er reich werden
würde. Heute kam der Durchbruch, der Haupttreffer, die
verdiente Belohnung. Heute war der große Tag.
    »Ein Hoch auf sie, auf Hatton und Johnny Lee, und auf
Caroline stoß ich auch an«, sang Robbie ziemlich
falsch, ohne sich daran zu stören, und klopfte mit einem
Fuß auf dem blätterverschmutzten Boden den Takt.
    »Ein Hoch auf sie, das vergeß ich euch nie, denn
ich hab endlich freie Bahn.«
    Nein – »denn jetzt geht’s endlich mal
voran.«
    Nein – »weil ich’s euch endlich besorgen
kann!«
    Aber was Caroline betraf, so würde er nie die Chance dazu
bekommen. Schade. Hübsch, reich, intelligent, reich,
warmherzig, reich… aber zu kompliziert.
    Jetzt, wo er zweitausend Meilen weit weg war und Zeit hatte,
darüber nachzudenken, viel zu kompliziert. Und zu
verletzlich. Ihre Tochter, ihr Vater… früher oder
später wären Bindungen entstanden, und er war ohne
welche viel besser dran. Und Caroline und er konnten Freunde
bleiben. Und wenn er erstmal das Geld aus der Höhle hatte
– nicht das Gold, das war wertlos, aber den Diamanten mit
all seinen elf prächtigen Karat – und nach Afrika,
England oder Südamerika abgezwitschert war – mit Geld
kam man weit in Südamerika, wenn man sich aus dem Krieg
heraushielt, und noch weiter, wenn man es nicht tat –,
würde es andere Frauen geben, die genauso begehrenswert
waren wie Caroline. Oder jedenfalls fast.
    Das Gelände unter dem Luftwagen wurde wilder, so
daß Robbie auf größere Höhe gehen
mußte. Er hatte ein klares Bild des Gebiets vor Augen, das
er tags zuvor oder zumindest bis zum Abend abgesucht hatte, als
alles so konfus geworden war. Jetzt beugte er sich aus dem
Fenster, um das Terrain dort unten zu mustern, suchte sich einen
Gebirgskamm, auf den Mallies Pferd logischerweise zugehalten
hätte, und landete mit dem Luftwagen unterhalb der ersten
Kombination aus Hang, Sims und Felswand, die mit seiner
Erinnerung übereinstimmte.
    Beim dritten Versuch fand er sie.
    Es war absolut still. Das erste, was Robbie auffiel, als er
den Hang hinaufstieg, war die unnatürliche Stille. Kein
Lufthauch. Keine kleinen Tiere, die im Gras raschelten. Kein
fernes Plätschern von Wasser. Die Stille hätte besser
zur Wüste als zu den Bergen gepaßt, dachte er. Sie war
schwer und klar, wie das Gewicht von Kristall. Manchmal passierte
das kurz vor einem Erdbeben – lieber Gott, ein Erdbeben
hier draußen, während er zwischen den Felsbrocken
herumkraxelte, das den Luftwagen beschädigte und
flugunfähig machte… Dann kam die Erinnerung, scharf
wie ein Bajonett: Mallie, wie er diesen Ort sah – das
Sehvermögen schmerzhaft gesteigert von dem, was das Fieber
mit seinem Gehirn anstellte, und ohne etwas zu hören. Genau diesen Ort. Robbie vergaß die Stille und
begann zu laufen. Er kämpfte sich keuchend und grinsend
bergan.
    In den letzten 140 Jahren waren weitere Felsbrocken die
Steilwand heruntergekommen. Das Muster der Bäume hatte sich
verändert: hohe Pinien, wo früher nur Gras gewesen war,
Zedernschößlinge, die aus den verrottenden Resten
dessen wuchsen, was in seiner Erinnerung ein Dickicht gewesen
war. Robbie hatte den Eindruck, als ob sich sogar die Farben des
Ortes verändert und zu einer blendenden Reinheit gesteigert
hätten, obwohl ihm das

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