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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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und dachte, sie sei aus einem
früheren Leben von ungewöhnlicher Macht. Dann hatte er
es: Pirelli als Junge, über seine Tastatur gekauert wie ein
Guerillero über ein Geschütz, hirnlos grinsend,
während er Nachschub, Menschen, Waffen in einem
elektronischen Kriegsspiel gegen eine Gruppe von Teenagern aus
Jamestown verschob: Wir haben sie! Wir haben die Mistkerle im
Sack… Mit einer raschen Bewegung stand Joe auf und
schlug Pirelli auf den Mund.
    Der dicke Mann taumelte gegen einen der Marshals zurück.
Die anderen beiden sprangen vor und packten Joe fest an den
Armen. Pirelli richtete sich mühsam auf und gab den anderen
ein Zeichen, Joe loszulassen. Er sah Joe mit einer
Ungläubigkeit an, die allmählich zu etwas
Härterem, aber nicht Kälterem wurde, wie Joe mit einer
dumpfen Überraschung bemerkte. Pirelli griff nach Joes
benutzter Serviette und wischte sich ein dünnes Rinnsal Blut
aus einem Mundwinkel.
    »Jeff… Es tut mir leid.«
    Pirelli lächelte dünn und rieb sich das Kinn.
»Gut. Niemand kann besser bereuen als du. Dir kann’s
so gottverdammt leid tun, daß du in einen wahren Taumel der
Selbsterniedrigung verfällst, und dann kooperierst du, um
Buße zu tun. Ach Joey, du hättest Katholik bleiben
sollen.«
    Joe schaute stur geradeaus. Pirelli führte sie aus dem
Speisesaal zu einem Luftwagen, der auf der Auffahrt vor dem
Gebäude wartete. Pirelli und ein Marshai, der fuhr, nahmen
vorne Platz. Joe wurde in den Fond zwischen die anderen beiden
Marshals gequetscht, beides wahre Hünen. Ohne daß er
es wollte, kam ihm eine seltene Erinnerung: ein Ritt über
die Tundra zu dritt nebeneinander in einer Troika, er selbst
zwischen zwei schweren Körpern, die nach Schweiß und
schmutzigem Fell stanken. Schnee auf seinen Augenlidern,
während der Wind seine bloßen Wangen peitschte.
    Pirelli drehte sich auf seinem Sitz halb um. »Am
Flughafen nehmen wir eine Regierungsmaschine und dann einen
anderen Wagen: Unsere Agenten müßten Brekke inzwischen
haben. Hoffe ich jedenfalls. Sie werden sich bald
melden.«
    Joe sagte, als ob das eine Antwort wäre:
»Individuelle Entscheidungen werden nicht rückwirkend
durch Umstände verursacht, die in absolut keinem
Zusammenhang mit ihnen stehen.«
    »Richtig«, sagte Pirelli. Es schien, als ob es Joe
schließlich doch noch gelungen wäre, ihn wütend
zu machen. »Und keine Zelle in meinem Körper
beeinflußt eine andere.«
    »Ich bin keine Zelle, Pirelli. Ich bin keine
Zelle.«
    »Wieder richtig. Du stehst in keinerlei Verbindung zu
irgendwas anderem. Und übrigens, Robin läßt dich
schön grüßen. Angel ebenfalls.«
    Der Luftwagen hob ab. Kurz bevor er nach Süden in
Richtung zum Flughafen von Rochester abbog, sah Joe über den
massigen Leib eines U.S. Marshals hinweg, wie Bill Prokop halb
angezogen aus dem Institut auf den startenden Wagen zugerannt
kam. In einer Hand schwenkte er ein portables Terminal, in der
anderen sein T-Shirt; sein Gesicht war verzerrt vor Verzweiflung,
als er etwas rief, was vom Fensterglas verschluckt wurde. Dann
wendete der Wagen und schoß davon, und Prokop war nicht
mehr zu sehen.

 
15.
ROBBIE
     
    Als Robbie aufwachte, fühlte er sich großartig.
Frische Morgenluft strömte zum Fenster herein und brachte
den Duft von Pinien mit sich. Durch einen Spalt in den
zugezogenen Vorhängen flutete fahlgraues Licht ins Zimmer.
Alle Konfusion war aus Robbies Kopf gewichen. Er hatte nicht
geträumt. Er sprang aus dem Bett und genoß das
befriedigende wump!, mit dem seine Füße auf den
Boden trafen.
    Ihm kam eine Erinnerung: ein Erwachen unter feuchtwarmen
Palmen, von Angstschweiß durchnäßt, während
sich kleine Insekten wie Präzisionsbohrer durch seine Haut
arbeiteten. Wo? In Liberia. Also in diesem Leben, nicht in
einem anderen. Bei dieser Erkenntnis lachte er laut auf.
    Das Motelzimmer war kahl, schäbig und sauber, wie das
Büro am Abend zuvor. Ein Bett mit einem zerkratzten
Kopfbrett und grünen Militärdecken, eine grün
lackierte Kommode, deren eine Schublade an einer Ecke
abgesplittert war. Ein Nachttisch mit einer Lampe und einem
altmodischen Off-line-Telefon, dessen Schnur aus der Wand gezogen
war. Der Stuhl war mit Brandlöchern von Zigaretten
übersät. Der rissige Vinylboden unter Robbies
Füßen war kalt, obwohl er in seinen Socken geschlafen
hatte. Pfeifend tappte er ins Bad.
    Beim Anblick der Glasscherben überall auf dem Boden hielt
er einen Moment lang inne,

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