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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Übelkeit, die er nicht
unterdrücken konnte. Sein Kopf schmerzte so sehr, daß
er ihn nicht einmal drehen konnte; er erbrach sich, spuckte
Erbrochenes vermischt mit langen Blutfäden über sein
eigenes Gesicht.
    »Das reicht. Gehen wir. Schnappt euch die
Taschen.«
    Stiefel entfernten sich von ihm, durch das Licht von der
Verandatür und weiter am Sweetwater entlang. Er rollte sich
zu einer Kugel zusammen, während seine Lungen nach Luft
rangen, und wimmerte bei dem Schmerz, den schon die geringste
Bewegung verursachte. Erbrochenes tropfte auf die Piniennadeln.
Aber er konnte jetzt nicht ohnmächtig werden, er mußte
Johnny Lees Leichnam begraben, nur war dafür keine Zeit,
weil er zu Armand in die Bibliothek mußte, vielleicht
hatten sie Armand auch was getan…
    Er setzte sich mit einer Kraftanstrengung auf. Zuerst stach
die gebrochene Rippe rechts in seiner Brust bei der Bewegung so
heftig, daß er glaubte, er würde doch noch das
Bewußtsein verlieren. Aber dann mußte die gleiche
Bewegung etwas in seinem Körper verschoben haben; der
Schmerz ließ ein wenig nach, und er bekam wieder Luft. Er
preßte seinen linken Arm fest an seinen Rumpf, kam taumelnd
auf die Beine und stolperte zum Luftwagen.
    Finsternis schwappte von seinem Kinn zu seinen Schläfen,
wich zurück und griff von neuem an. Sie hatten die
Flurlampen kaputtgemacht, das teure, antike Tiffany-Glas, das
Armand in England gekauft hatte. Jetzt war es so dunkel,
daß er die Bibliothek kaum finden konnte. Aber Armand war
ja auch gar nicht in der Bibliothek, fiel ihm ein, er war ins
Labor gegangen, um zu arbeiten, in das Labor, das er zu Hause
aufgebaut und mit heimlich aus der Universität
geschmuggelten Geräten ausgestattet hatte, um mehr Zeit mit
Paul verbringen zu können. »Wir vergessen nicht! Wir
vergessen nicht!« hatten sie geschrien, und gottverdammt
noch mal, er würde ihnen etwas geben, das sie nicht
vergessen würden – o Gott, es war so dunkel, daß
er den Luftwagen nicht fand.
    Aber dann fand er ihn doch. Er kroch die letzten paar Meter
auf den Knien und seiner rechten Hand, die linke immer noch an
die Rippen gepreßt. Das sind Tiere, hatte Johnny Lee
gesagt, aber er hatte sie getötet, sogar das Baby, und der
Sünde Lohn ist der Tod. Die Worte seines Vaters. Die Worte
der Bibel. Sollten sie also an AIDS sterben, denn das war es, was
sie Armand vorwarfen, weshalb sie ihn getötet hatten, was
sie nicht zu vergessen schworen – sollten sie sterben,
verfaulen ohne das Heilmittel, an dem Armand arbeitete, sollte
die ganze verdammte Welt verfaulen und sterben, die Armand,
seinen Geliebten, ermorden wollte…
    Er mußte auf den Beinen bleiben, um zu Armand zu
gelangen.
    Im Luftwagen brach er zusammen, aber er verlor nicht das
Bewußtsein. Er startete den Wagen. Armand brauchte ihn;
Armand lag blutüberströmt am Sweetwater. Er brachte den
Wagen in die Luft und stellte ihn auf automatischen Rückflug
ein. Er schaukelte und schwankte unter ihm, aber Johnny Lee hatte
gesagt, es sei ein gutes Pferd, und er hielt sich am Sattelknauf
fest; sein Kopf schwebte neben ihm her. Es war nicht mehr so weit
bis zum Labor, nur den Flur entlang und durch die Bibliothek, das
konnte er schaffen. Er konnte es. Die Höhle war gleich da
vorn.
    Dann wimmelte es im Luftwagen plötzlich von anderen
Menschen, allesamt Leute, die er nicht einmal kannte. Wer waren
die alle? Ein zerlumpter Hausierer mit verhangenen Augen, ein
Chinese in gelber Seide mit einem langen Zopf, ein Mann mit einem
Fell – was, zum Teufel, war das? Sie sahen ihn alle an. Auf
dem anderen Schalensitz neben ihm saß ein Teenager im
blauen Anzug mit einem Doktorhut, der einen Ellbogen lässig
ins offene Fenster gelegt hatte und lächelnd über einer
Dose Bier hockte. Robbie schloß die Augen. Der Luftwagen
geriet in einen kurzen Aufwind und bockte, das
Rückflugprogramm steuerte die gleiche Höhe an wie am
Morgen. Robbie schlug die Augen auf. Die Leute waren weg. Erst da
erinnerte er sich an sie alle, erinnerte sich, daß er jeder
von ihnen gewesen war.
    Er wimmerte und hob einen Arm, und seine gebrochene Rippe
verschob sich zum zweitenmal und stach ihn. Er schlang erneut den
anderen Arm um sie und bemühte sich, flach zu atmen,
bemühte sich, mit dem Schmerz fertig zu werden, bemühte
sich, obenauf zu bleiben, bis er bei Armand war. Bis er im Labor
war und durch den niedrigen, versteckten Eingang in die
kühle, trockene Höhle

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