Schädelrose
dahinter kriechen konnte.
Er ging mit dem Luftwagen direkt vor dem Eingang der
Höhle herunter. Der Laborschlüssel war noch in seiner
Tasche, seit heute morgen. Er brauchte sechs Anläufe, um die
Tür aufzuschließen; er sank immer wieder nach vorn,
gegen das Holz. Schließlich drehte er den Schlüssel
um, fiel hin und kroch ins Zimmer.
»Mister Brekke«, sagte jemand über ihm,
»Sie sind gemäß Sonderhaftgesetz R-52 verhaftet.
Sie haben das Recht zu schweigen…«
Er versuchte, die Tür hinter sich zuzumachen und
abzuschließen; sie konnten zurückkommen, konnten ihn
diesmal ebenso umbringen wie Armand. Aber einer von ihnen war
schon da und beugte sich über ihn – sie hätten
ihn doch wenigstens ein paar Minuten mit Armands Leichnam
alleinlassen können, mit Armands geliebtem Körper, der
blutig und verstümmelt war, wie er ihn nun für den Rest
seines Lebens immer vor sich sehen würde.
»…sofort ärztliche Hilfe, halten Sie
durch…« Er kroch über den Boden. Zum Labor, zu
Armand, zu Johnny Lee Benson, zu der verschlossenen schwarzen
Metallschachtel auf dem Labortisch, aus der er diesen
Schwulenmördern etwas geben würde, damit sie Armand
garantiert bis ans Ende aller Tage nicht mehr
vergaßen…
In diesem Moment fing der Druck in seinem Hinterkopf wieder
an, der Schmerz und die Konfusion der Geburt kamen dem Schmerz
und der Konfusion seines Verlusts gleich, und sie krochen
zusammen weiter.
16.
CAROLINE
Auf halbem Wege nach Wyoming lehnte Caroline die Stirn ans
Fenster und beobachtete, wie die monotonen, von Robotern
bestellten Felder unter dem kleinen gecharterten Flugzeug
dahinrasten. Das Fenster fühlte sich kalt an. Wenn sie die
Lider hochzog, sah sie eine verzerrte Nahaufnahme ihres Gesichts
in dem polarisierten Kunststoff, die nichts
Menschenähnliches hatte – keine Ähnlichkeit mit
Catherine, Robbie, Linyis Kindern Shujen und Piao,
Timmy…
»Frauen sind verrückt«, sagte sie laut. Die
Pilotin, eine Frau in den Fünfzigern, deren Haare genauso
eisengrau waren wie ihr Flugzeug, warf ihr vom Nebensitz aus
einen mißtrauischen Blick zu.
»Wie lange noch bis Wyoming?« Caroline wollte,
daß die Frau etwas sagte, irgendwas.
»Zwei Stunden.«
»Haben Sie Kinder, Miss Cary?«
»Nein«, sagte die Pilotin und konzentrierte sich
betont auf ihre Bildschirme.
»Ich auch nicht«, sagte Caroline.
Sie blickte wieder aus dem Fenster, die Stirn am Kunststoff.
Diesmal löste es eine Erinnerung aus: sie selbst als kleines
Mädchen in einem blauen Kleid, das Gesicht an ein
Glasfenster gepreßt und darauf wartend, daß Papa
heimkam, der das Holz flußabwärts nach Wellington
brachte. Sie war Victoria Jane. Sie wartete auf Papa, weil er
versprochen hatte, ihr eine Puppe aus Wellington mitzubringen,
falls sie schon mit dem Segelschiff aus England eingetroffen war,
eine Puppe mit blauen Augen und gelben Haaren, wie Prinzessin
Alice. Aber nur, wenn sie lieb zu Mama war, solange er fort war.
Sie war zehn Jahre alt. Ein Kind.
»Zur Hölle mit all dem, verdammt noch mal«,
sagte Caroline leise zum Glas/Kunststoff. Die Pilotin schaute
stur nach vorn. Caroline grinste säuerlich. Genau, eine
Verrückte, da hast du recht, kommt bloß nicht zu nahe,
könnte ansteckend sein. Warum auch nicht? Die Seuche ist
ansteckend, wieso nicht auch Geisteskrankheit? Wir alle hier drin
haben sie gekriegt, wir sind alle weggetreten und haben einen
Sprung in der Schüssel, Mütter und Kinder, Mütter
von Kindern, Kinder, die Mütter werden, Mütter, die die
Kinder ihrer Kindeskinder sind… der Tanz der
Generationen war dank der Karnie-Operation zu einem Blauen- und
Psychotrip geworden, Bäumchen Wechsel dich, dum-di-dei.
Das Flugzeug legte sich in eine harte Linkskurve. Caroline
machte die Bewegung mit und schaute dann aus dem Fenster. Dort
war nichts zu sehen. Am Instrumentenbrett begann ein Summer zu
schrillen.
»Was ist los?«
»Umleitung. Eine Endlagerstätte für
Atommüll. Kann nicht über das Zeug
wegfliegen.«
Der Summer heulte. Caroline versuchte sich zu erinnern, was
sie über Endlagerstätten für Atommüll gelesen
hatte. »Ist es gefährlich, wenn man so nah
rankommt?«
Die Pilotin zuckte die Achseln. »Sie sagen
nein.«
»Wer sagt nein?«
»Die Regierung. Und die Gaisten. Sie sagen, eine
Endlagerstätte für Atommüll so nah bei Des Moines
ist eine gute Sache.«
»Wieso?«
Die Pilotin warf ihr einen Blick zu, ohne zu
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