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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Seemuscheln und purpurne Blumen gekleidet schlurften sie in einem
Hologramm eines Flügelwagens über die Bühne, dem
plumpsten Holo, das Caroline je gesehen hatte.
»Fürchte dich nicht«, rieten sie Prometheus im
Ton von Grundschullehrern, die in der dritten Klasse eine
Mathearbeit austeilten. Überall um Caroline wurden Leute
ruckartig wach, blinzelten und sahen einander an. Robbie konnte
das Stück nicht allein tragen. Der Chor stand so nah bei
ihm, daß das Hologramm den Felsen des Prometheus
überlappte und es so aussah, als ob diesem ein linker
Flügel gewachsen wäre. Prometheus antwortete mit
Würde und Kraft, aber seine Texte waren kurz und wechselten
sich mit denen des Chors ab. Caroline sah ungläubig zu. Es
war, als ob man den Hals bei einem Tennisspiel zwischen drei
Krüppeln und einem ballettanzenden Flammenwerfer verdrehen
würde. Angesichts Robbies lodernder Intensität wurden
die Frauen sogar noch schlechter, stolperten über ihre
Sätze und tappten auf ihrem Aschenplatz herum.
    Er konnte das Stück bis zum Schluß nicht mehr
retten. Die anderen waren allesamt zu gräßlich. Aber
dennoch gab es einzelne Zeilen, die Caroline durch und durch
gingen:
     
    »Den Sterblichen nahm ich vorzuwissen ihren
Tod…
    Ich siedelte in ihnen blinde Hoffnung an.«
     
    Neben ihr bewegte sich Shahid auf einmal auf seinem harten
Sitz.
     
    »Nicht wissen ist dir besser als zu wissen dies.
    Nicht Mißgunst ist’s. Dein Herz zu verstören
scheu ich mich.«
     
    Dein Herz zu verstören scheu ich mich. Caroline
sah wieder ihr Zimmer im Institut, nachdem Colin es gerade
verlassen hatte, Robbies Hand, die sanft unter ihrem Ellbogen
lag, seinen starken Körper an ihrem, als er sie festhielt,
während sie beide auf dem Boden saßen und sie an
Catherines Brief herumfummelte, den sie in der Hand hielt. Nichtwissen ist dir besser als zu wissen dies.
    »Möchten Sie gehen?« flüsterte Shahid
ihr zu.
    »Nein. Nein, ich bleibe.«
    Dein Herz zu verstören scheu ich mich. Aus dem
Augenwinkel sah sie Joe McLaren.
    Er saß rechts außen an der Schlackensteinwand, in
der zweiten Reihe. Selbst im gedämpften Licht von der
Bühne und im halben Profil erkannte sie ihn an seiner
aggressiven Sitzhaltung: die Schultern nach vorn gezogen, das
Kinn erhoben. Die Haltung eines Kämpfers. Seine Haare waren
im letzten Jahr länger geworden. Er saß allein. Die
leeren Plätze um ihn herum hatten etwas von einer
entmilitarisierten Zone.
    »Sprich, lehre zu Ende!« sagte jemand auf der
Bühne. »Denn wer krank ist, dem ist’s lieb,
vorauszuwissen seiner Leiden Maß genau.«
    Blödsinn, dachte Caroline. Sie wandte den Blick
von Joe ab und schaute zur Bühne. Zuerst war sie nur ein
verschwommener, an den Rändern gefärbter Fleck, wo die
Bühnenlichter auf die Dunkelheit trafen, aber dann begann
Robbie zu sprechen.
    Im Gegensatz zu der komplexen Kraft seiner vorherigen Monologe
sprach er schlicht, schilderte schreckliche Qualen in einem so
natürlichen Ton, daß die Qualen ebenfalls
natürlich, unvermeidlich und deshalb um so grausamer
wirkten. Im Theater wurde es totenstill. Robbie hatte vier lange
Monologe, und bei jedem gab es keine Bühne, keine
Schauspieler, kein schäbiges Theater mehr: nur noch
Prometheus, der in seinen Ketten kommende Geschehnisse weissagte,
ein Kanal zu einer Zukunft, die er nie sehen würde. Als ihn
schließlich Blitz und Donner verschlangen, billige
holographische Effekte, die das Geflecht der Worte
zerstörten, blinzelten die Zuschauer, bewegten sich und
sahen einander einen Moment lang an, ohne sich zu erkennen.
    Caroline stand schwankend auf, bevor der Applaus losbrach oder
das Saallicht anging. Sie ging durch den dunklen Gang ins leere
Foyer, befahl Cassidy mit einer Handbewegung, sie alleinzulassen,
und lehnte sich an ein Stück Wand, in das antike Toaster
eingebettet waren, die wie aufgeschlitzte Muscheln aussahen. Sie
bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Ein –
eins zwei drei – aus – eins zwei drei… die
Saaltür ging auf, und eine Woge von Applaus brandete heraus.
Sie hatte Patrick Shahid erwartet, aber es war Joe.
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Caroline lachte matt. »Das fragen die Leute mich
dauernd. Ja. Nein. Natürlich. Wie geht es Ihnen,
Joe?«
    »Gut«, sagte er, ohne zu lächeln. Aus der
Nähe sah sie, wie er sich verändert hatte.
    »Sie sind dünner geworden.«
    »Sie nicht.«
    »Immer noch kein Freund von Komplimenten, wie?«

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