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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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darüber klar
wurde, Zeit, bis man es begriff…
    Er stand vom Bett auf und schaltete seine Soundbox ein. Die Brandenburgischen Konzerte erfüllten das Zimmer mit
ihrem kraftvollen Klang und übertönten beinahe das
Läuten, das vom Terminal kam.
    Er rief die Nachricht auf, ohne nachzudenken. Es waren nur
sechs Worte, JOE – BITTE RUF AN. PURPURSCHWALBEN
FLIEGEN.
    Zorn wallte in ihm auf. Woher hatte sie diese Nummer? Nicht
von Angel. Ganz gleich, mit welchem unbekannten Problem Angel
sich herumschlug, er hatte Robins Nachricht auf dem üblichen
Weg weitergeleitet. Die einzigen anderen Leute, die wußten,
daß Joe sich in diesem Institut aufhielt, waren die von der
Kommission, und das einzige Mitglied der Kommission, das seine
frühere Frau kannte, war Pirelli.
    PURPURSCHWALBEN FLIEGEN.
    Robin hatte ihn fünf Jahre nach ihrer Hochzeit verlassen.
Sie war mit einem gutaussehenden jungen Gaisten, der ihr gesagt
hatte, sie sei eine lebende Rose, nach Kalifornien durchgebrannt.
Joe hatte ihr nie etwas derart Peinliches gesagt; er hatte ihr
überhaupt nicht viel gesagt. Er starrte auf den
Computerbildschirm. Bach wogte durch die Luft, ein
triumphierender, komplexer Klang. Als er das Klopfen an der
Tür schließlich hörte, hieb er so heftig auf die
AUS-Taste, daß die Soundbox über die Kommode
rutschte.
    Überrascht sah er den blonden jungen Mann von der
Terrasse, von dessen Stirnband eine alberne rote Rüsche
herabbaumelte, am Türpfosten lehnen. Brekke. Der Entwaffner
hysterischer Frauen. Der Held, in dessen Oberstübchen
Durchzug herrschte.
    »Ja?«
    »Noch mal guten Abend«, sagte Brekke,
lächelte und wartete auf eine Reaktion. Joe tat ihm jedoch
nicht den Gefallen. Das schien ihn nicht weiter zu stören;
er fuhr einfach fort. »Sind Sie Anwalt?«
    »Warum?«
    »Jemand da unten hat gesagt, Sie wären
einer.«
    Caroline Bohentin? Sie hatte nicht den Eindruck gemacht, als
ob sie von Brekkes Pseudogroßtaten besonders angetan
gewesen wäre, aber das hatte nicht unbedingt etwas zu sagen.
Bei Frauen wußte man nie. Vielleicht hatte sie noch einmal
mit Brekke gesprochen, nachdem Joe nach oben gefahren war. Er
wartete und tat nichts, um ihm zu helfen. Brekke lächelte
erneut; er wirkte belustigt.
    »Wenn Sie nämlich Anwalt sind, möchte ich Sie
gern um juristischen Rat fragen. Als zahlender Klient,
natürlich.«
    »Ich bin nicht hier, um Klienten anzunehmen.«
    »Nein, natürlich nicht. Ich bin auch nicht hier, um
einer zu werden.«
    »Dann sind wir uns ja einig. Gute Nacht«, sagte
Joe. Er machte Anstalten, die Tür zu schließen, aber
Brekke sagte: »Es geht um eine juristische Frage in bezug
auf das Gedächtnis.«
    »Ja und?«
    »Und das Gedächtnis interessiert Sie.
Garantiert.«
    »Wieso?«
    »Weil Sie hier sind. Sagen Sie mir nur eins, und zwar in
aller Kürze, wenn Sie wollen – wie ist es, wenn jemand
etwas unterschreibt, ein Geständnis, einen
geschäftlichen Vertrag oder so, während er unter dem
Einfluß eines früheren Lebens steht? Ist das
bindend?«
    Brekke sprach mit plötzlicher Ernsthaftigkeit, eine so
unerwartete Wandlung, daß Joe ihr sofort mißtraute.
Es war nicht so, daß die Ernsthaftigkeit künstlich
wirkte, aber darunter simmerte eine Art Erregung, eine
überhitzte Zuversicht, die bereits wußte, was sie
glaubte. Es zeigte sich in der gespannten Linie von Brekkes
Handgelenk am Türpfosten, in seinem vor Aufregung geneigten
Kopf. So sahen junge Rechtsanwälte aus, die
routinemäßige Polizeiberichte mit Geringschätzung
betrachteten, oder hochrangige Politiker, für die jedes
Wehwehchen in ihrem Wahlkreis gleich eine nationale Krise war.
Joe kannte diese Haltung gut und verabscheute sie gründlich:
ihre Egozentrik, ihre mangelnde
Verhältnismäßigkeit. Weil er sich dessen
bewußt war und auch wußte, daß seine Abneigung
leicht unfair sein konnte, zwang er sich, Brekke zu
antworten.
    »Ich weiß nicht, was Sie mit >unter dem
Einfluß eines früheren Lebens< meinen.«
    »Doch, das wissen Sie, verdammt!« Die Aufwallung
von Zorn verebbte so schnell, wie sie gekommen war; Brekkes
Lächeln war versöhnlich. »Sehen Sie, ich meine
nicht die kompletten juristischen Verzweigungen und
Verästelungen, die ganzen Hintertürchen. Ich meine, im
allgemeinen. Angenommen, ich hätte was unterschrieben,
während ich dachte, ich wäre jemand anders, jemand aus
einem früheren Leben, der vielleicht andere Dinge will als
ich jetzt, wäre das

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