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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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für eingehende
Nachrichten ab, überlegte es sich anders und schaltete es
wieder ein. Vielleicht würde Pirelli noch mal anrufen.
Wahrscheinlich nicht, aber möglich war’s.
    Joe schaltete die Soundbox ein und legte sich vollständig
angezogen aufs Bett des Instituts. Die Matratze unter seinem
Kreuz fühlte sich fest an. Er versuchte, sich das
kürzlich isolierte Virus vorzustellen, das aus irgendeinem
Gehirn entnommen worden war, um langsam, ganz langsam in einer
per Computer kontrollierten breiigen, künstlichen Kultur zu
wachsen, während um ihn herum die Brandenburgischen
Konzerte hüpften und hasteten, eine Musik von
verläßlicher Unabänderlichkeit.

 
3.
ROBBIE
     
    Robbie lehnte sich mit den Schultern an einen riesigen, wild
wachsenden Zuckerahorn auf halbem Wege zwischen dem
Institutsgebäude und dem Ontariosee. Blätter von der
Größe seiner Hand raschelten im Dunkeln. Hinter ihm
brachen sich unsichtbare Wellen sanft an Felsen. Es war drei Uhr
morgens. Während er darauf wartete, daß die Wirkung
der Brainie einsetzte, die er gerade geschluckt hatte, schaute er
zu dem schwarzen, rechteckigen Umriß des Instituts
hinüber, der quer durch die Sterne im Süden
schnitt.
    Die Fenster der Eingangshalle im Erdgeschoß waren von
matten, geisterhaften Nachtlichtern erleuchtet. Über dem
Erdgeschoß brannten nur zwei Lichter, eins an der
nordwestlichen Ecke im vierten Stock und eines etwas westlich von
der Mitte im zweiten. Im dritten und vierten Stock waren drei
Fenster gewaltsam geöffnet worden. Die Fliegenfenster sahen
nicht sehr stabil aus, aber die Nordwand des Gebäudes bot
wenig Halt, und es bestand ohnehin nicht die Notwendigkeit, ein
so großes Risiko einzugehen. Obwohl es vielleicht
Spaß gemacht hätte.
    Robbie langte nach oben und erwischte ein Ahornblatt. Mit
einem Finger fuhr er die kühlen, vortretenden Adern nach. Er
spürte, wie die Brainie zupackte, wenn auch nicht auf
deutlich wahrnehmbare Weise. Kein Ansturm von Lichtern oder
Farben, kein prächtiges elektrisches Gewitter im limbischen
System oder den Schläfenlappen. Bei dieser nicht. Er
verlagerte sein Gewicht auf die Zehen und ging ein bißchen
in die Knie. Er fühlte sich leicht und aktionsbereit, auf
coole Weise zu allem fähig und ein wenig losgelöst.
Herr der Dinge. Das Gefühl besagte, daß nichts schwer
zu entscheiden oder auszuführen sein würde und
daß alles erledigt werden mußte. Es war soweit.
    Er bewegte sich geräuschlos über das nasse Gras,
umrundete das westliche Ende des Gebäudes und betrat die
Eingangshalle unter den wachsamen Augen der Monitorkameras. Ein
rechtmäßiger Bewohner, der einen nächtlichen
Spaziergang gemacht hatte. Der nervös war, weil sein Gehirn
in drei Tagen geeufelt werden sollte, und deshalb nicht schlafen
konnte. Am unsichtbarsten war man vor aller Augen.
    Im Fahrstuhl drückte er auf den Knopf für den
zweiten Stock, stieg aus, machte die Tür zum Treppenhaus auf
und stieg zum vierten Stock hinauf. Er hatte herausgefunden,
daß das Treppenhaus im Erdgeschoß und im ersten
Stock, wo sich Besucher und ärztliches Personal
versammelten, mit Monitoren überwacht wurde, aber nicht auf
den Wohnetagen, wo nächtliche Wanderer wahrscheinlich
sexuelle Anonymität wünschten. Und das Institut, stets
bereit, den Wünschen seiner Patienten nachzukommen, hatte
sich dem gefügt. Robbie lächelte.
    Die Tür des Anwalts war am anderen Ende des Flurs im
vierten Stock. Der arme, humpelnde Spießer. Morgen war er
dran. Robbie wünschte ihm alles Gute, auch wenn McLaren
seine Eier fest mit seinem Cortex verdrahtet hatte.
Schließlich hatte der Besuch bei McLaren Robbie die
Rechtfertigung dafür gegeben, ein bißchen
herumzubummeln und mit den Leuten zu reden, die gerade zu ihren
Zimmern im vierten Stock gingen oder aus ihnen herauskamen. Auf
dem kurzen Weg vom Fahrstuhl zu McLarens Tür hatte er mit
zwei Leuten geplaudert, auf dem Rückweg mit dreien. Zwei
– beides Frauen – hatten ihn auf einen Drink zu sich
eingeladen. Robbie hätte eine Karte der gesamten Etage
für Hatton anfertigen können, nur daß Hatton
nichts davon erfahren würde.
    Im Zimmer gegenüber von McLaren wohnte der Journalist,
Prokop. Dann kam der unbedeutende britische Lord –
ebenfalls zwecklos. Prokop trug eine billige Uhr, und der
alternde Lord roch nach Vorsicht. Robbie konnte es riechen
– der Gestank eines Körpers, der sich so verzweifelt
an die Reste dessen

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