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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sagen, und das war’s dann. Keine
Schwierigkeiten. Nichts von der Betretenheit, die ihr Name
zwischen Pirelli und ihm immer noch verursachte. Keine Wut, kein
Schmerz. Er hatte nicht zurückgerufen.
    »Ich soll Ihnen von ihr ausrichten«, erklärte
Angel immer noch mit dieser angespannten, rauhen Stimme,
»sie sagt: >Purpurschwalben fliegen<.«
    Irgendwo hinter Angel setzte die Trommelmusik wieder ein,
leiser diesmal.
    »Boß? Sind Sie noch dran?«
    »Ja«, sagte Joe. »Danke, Angel.« Es
gab eine peinliche Pause. Joe spürte, daß Angel etwas
sagen wollte; er hätte es auch gern getan, aber er
wußte nicht, was. Schließlich sagte Angel etwas, das
in der Musik unterging – vielleicht war es nicht mehr als
ein >Tschüß< –, und legte auf. Joe
saß auf dem japanischen Stuhl, den Hörer in der
Hand.
    Purpurschwalben fliegen. Er hatte nicht einmal
gewußt, daß Robin sich daran erinnerte. Oder falls
doch, daß sie so sentimental sein würde – so
manipulativ, so dumm –, diese Phrase zu benutzen.
    Es war der Geheimcode von ihnen gewesen. Pirelli war
natürlich derjenige gewesen, der ihn entwickelt hatte,
während er vor seinem billigen Apple kauerte, einem
Cortland, der schon damals so alt war, daß er noch keine
parallelen Prozessoren hatte. Sie waren alle drei zwölf
Jahre alt gewesen, hatten nach der Schule mit einer anderen
Gruppe ungewaschener Middle School-Schüler in vier Meilen
Entfernung über Modem Kriegsspiele gemacht und dabei in
Pirellis Schlafzimmer mit den riesigen Flecken in der
Trockenmauer und dem Blick aus dem Fenster auf die
Interstate-Überführung, auf der japanische Wagen
vorbeisausten, Cola getrunken. Pittsburgh im Jahre 2002. Joe
McLaren, Jeff Pirelli, Robin Nguyen. Das Trio.
Unzertrennlich.
    Pirelli hatte das Spiel erfunden. Pirelli im Alter von
zwölf, korpulent, fettige Haut, mit einem obszönen
T-Shirt und einem koptischen Kreuz an einer Messingkette. Bereits
brillant auf den uralten Geräten, die ihm seine
verblühte, verlassene Mutter in der mürrischen,
zornigen Hoffnung gekauft hatte, damit irgendwie den Vater
ersetzen zu können, der an AIDS aus einer verseuchten
Spritze gestorben war. Sie hatte versucht, wie Joe jetzt sah, mit
Hilfe von Kabeln und Tastaturen, die sie nicht verstand und denen
sie nicht traute, ein kaputtes Muster zu verbessern. Und sie
hatte Erfolg gehabt – Pirelli war einer der besten
professionellen Datenscanner des Landes geworden, jener kuriosen
Kreuzung von Analytikern und Spielern, die intuitive Ideen
über Datenmuster ausbrüteten, die zu unerwartet waren,
um von programmierten Vorgaben erfaßt zu werden.
    »>Geier sammeln sich< – was für’n
blödes Paßwort«, hatte Pirelli gesagt,
während er auf seinen streifigen Bildschirm spähte. »Natürlich sammeln sich die Geier, das ist ja
‘n Kriegsrat, oder? Minniti ist so subtil wie ‘n
Kohlkopf.« Die kurzen, dicken Finger flogen über die
Tastatur; innerhalb von neunzig Sekunden hatte er den gesamten
Kriegsplan des anderen Teams heruntergezogen.
    »Das ist so gut wie gewonnen«, sagte Robin in
ihrem formellen Englisch mit dem leichten Akzent. Ihre Familie
kam aus Vietnam, späte Immigranten in ein Land, das nach
Arbeitskräften als Ersatz für eine AIDS-Population
hungerte, die trotz der Entdeckung des Heilmittels Jahre zuvor
weiterhin wegstarb. Sofern die Immigranten clean waren,
natürlich. Robin war clean. Sie beugte sich über die
Lehne von Pirellis Stuhl, und ihre dunklen Haare schwangen nach
vorn; Joe spürte, wie seine Brust eng wurde.
    »Dumm, ja«, sagte er, um etwas zu sagen.
»Geier. Sie hätten sich wenigstens einen anderen Vogel
aussuchen können.«
    »Adler sammeln sich«, schlug Robin vor.
    »Nee«, wehrte Pirelli ab. »Zu historisch.
Bibel. Nazis.«
    »Sträuße sammeln sich«, sagte Joe. Er
hatte vor einem Jahr aufgehört, die Bibel zu lesen, und so
gut wie noch nie etwas von den Nazis gehört. Ob Robin sich
wohl etwas daraus machte, daß Pirelli so viel mehr
wußte als alle anderen?
    »Im Sand verstecken. Botschaften, die niemand sehen
soll.«
    »Kuhstärlinge sammeln sich.«
    »Die legen ihre Eier in die Nester anderer Vögel.
Huckepackbotschaften in einem anderen Programm.«
    »Rotkehlchen [i] sammeln sich!« Sie lächelte ihn
an. Er fühlte, wie er untenrum anschwoll.
    »Ein Zeichen für den Frühling.«
    »Verdammt, Jeff«, platzte Joe heraus, »alle
Vögel bedeuten was. Alles bedeutet irgendwas!«
    Pirelli

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