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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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nicht gut.«
    Meinte sie, daß Brekke nicht gut im Bett gewesen war?
Irgendwie bezweifelte Joe das. Seine Skepsis wuchs. Er sah
voraus, daß irgend etwas eine sexuelle Erinnerung
auslösen würde, wenn er im Dunkeln mit ihr allein war,
und daß er die Beherrschung verlieren würde.
    »Manchmal – in manchen Nächten – ist
einfach nicht genug Vergangenheit da«, sagte Caroline
leise. »Genug Vergangenheit, an der man sich festhalten
könnte. Ich weiß, daß Sie damit nicht
einverstanden sind. Aber Sie waren sehr nett zu mir bei der Sache
mit Catherine.«
    Er war nicht nur nicht einverstanden, er konnte sich nicht auf
das konzentrieren, was sie sagte. Sein Unterleib schmerzte vor
süßer, verräterischer Schwere.
    Caroline strich ihre Haare zurück, und eine Strähne
blieb an ihrer Wange hängen, von Make-up oder getrockneten
Tränen gehalten, eine mäandernde, glänzende
Straße. Er wußte, daß er gar nichts sagen
sollte, daß er einfach bleiben oder gehen sollte, aber er
konnte sich nicht zurückhalten. »Was haben Sie damit
gemeint, als Sie sagten, daß es mit Brekke nicht gut war?
Haben Sie mit ihm geschlafen?«
    »Nein. Wir hätten es tun können. Aber es
war… nicht gut. Nicht richtig.« Ihre Miene
änderte sich. »Mehr kann ich Ihnen nicht dazu sagen.
Aber das muß ich ja auch nicht, oder? Wenn Sie nicht
wollen, dann eben nicht. Gute Nacht, Joe.«
    Er langte hinter sie und machte die Tür auf.
    Caroline schaltete das Licht nicht an. Sie legten sich im
Dunkeln aufs Bett, ohne sich auszuziehen. Joe nahm sie in die
Arme. Ihr Hals roch nach einem zarten, teuren Parfüm.
    »Sprich mit mir«, sagte sie so leise, daß er
es nicht als Aufforderung, sondern als Bitte verstand.
»Erzähl mir was aus deiner Jugend. In diesem Leben,
meine ich.«
    Zu seiner Überraschung tat er es. Er erzählte ihr
von Pittsburgh in den Neunzigern: wie sie mit dem Skateboard die
Böschungen der leeren Highway-Überführungen
hinuntergefahren waren, wie sie weggeworfene Vinylplatten
gesammelt hatten, als die Leute sie gegen CDs austauschten, wie
sie auf Pirellis kostbarem, veraltetem Computer
Pseudokriegsspiele ausgetragen hatten. Er erzählte ihr von
seiner Mutter, die bei einem Busunfall ums Leben gekommen war,
als er sich gerade durch sein Jurastudium kämpfte. Er
erzählte ihr von den nächtlichen Jobs, damit er
tagsüber in die Seminare gehen konnte, und dem Stipendium,
das er vielleicht bekommen hätte, wenn er nicht ein Jahr zu
spät drangewesen wäre, zwölf Monate nach dem
Zeitpunkt, als der Kongreß, in dem neuerdings die von einer
übermäßig belasteten Mittelschicht gewählten
Neolibertären dominierten, sowohl die Steuern gesenkt als
auch die meisten Beihilfen für die Universitäten
einschneidend gekürzt hatte.
    »Und nun trittst du also für moralische
Restriktionen und Steuererhöhungen ein«, sagte
Caroline. »Obwohl uns die Neo-Libs immerhin vom
größten Teil des staatlichen Defizits befreit
haben.«
    Er hatte keine Lust, mit ihr über Politik zu diskutieren.
Ihre Argumente waren zu simpel, und ihr Hals roch zu verwirrend.
Statt dessen erzählte er weiter von seiner Kindheit, immer
weiter, und wunderte sich selbst über seinen Mangel an
Befangenheit. Er sprach über die Tanzabende an der Junior
High School, über seine wenigen Erinnerungen an den Vater,
der sie verlassen hatte, als Joe vier gewesen war, über die
Rockkonzerte, die Pirelli und er zu stürmen versucht hatten,
über die Telefonpiraterie, bei der Pirelli der führende
Kopf gewesen war, wie er herausgefunden hatte, und ihren Streit
deswegen, bis Pirelli sich bereit erklärt hatte, damit
aufzuhören. Er erzählte ihr von den ersten
MS-Symptomen, als er noch auf der juristischen Fakultät
gewesen war, von dem Anwaltsexamen, bei dem er durchgefallen war,
weil seine Hand die Tastatur nicht festhalten wollte, von der
langen Remission danach. Er erzählte ihr alles, aber kein
Wort von Robin.
    Er fühlte, wie Caroline in der Dunkelheit zuhörte.
Ihr Atem strich über seinen Unterarm. Das Zuhören
schien fast so etwas wie ein drittes Wesen zu sein, das mit ihnen
im Bett lag, so greifbar war es, ein atmendes, separates Leben,
wie ein heißgeliebtes Kind. Schließlich änderte
sich ihr Atmen jedoch, und Joe merkte, daß sie
eingeschlafen war.
    Seine Uhr leuchtete in der Dunkelheit und zeigte ihm,
daß es siebzehn Minuten nach zwei war. Sein Hals war rauh.
Er stand auf und zog sich und Caroline

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