Schädelrose
HABE EINE NACHRICHT VON HÖCHSTER PRIORITÄT
FÜR SIE AUFGEZEICHNET. BITTE LESEN SIE SIE SOFORT. MISTER
MCLAREN, ICH HABE EIN NACHRICHT VON HÖCHSTER PRIORITÄT
FÜR SIE AUFGEZEICHNET. BITTE LESEN SIE SIE SOFORT. MISTER
MCLAREN…«
Er schaltete es ab, rieb sich mit beiden Händen die
Schläfen und bat um die Nachricht. Sie stammte von Jeff
Pirelli:
DRINGEND! BITTE RUF MICH UMGEHEND AN. ETWAS HÖCHST
UNERWARTETES IST GESCHEHEN. ABER TU MIR BITTE ZUERST EINEN
GEFALLEN:
KAUFE SECHS YAMWURZELN, DREIZEHN BROTE, DREI SALAMIS SECHS
KAROTTEN, EINEN SCHINKEN, EINUNDZWANZIG BAGELS…
Die Liste war endlos. Joe starrte wie gebannt auf den
Bildschirm, bis er sich schließlich erinnerte. Es war einer
ihrer Teenager-Codes, der so irrsinnig idiosynkratisch war,
daß ihn auch die raffinierteste Software kaum je knacken
konnte. Pirelli hatte ihn auf eine völlig willkürliche
Assoziation von Nahrungsmitteln mit Worten und Sätzen
aufgebaut, die von den Zahlen jeweils auf eine Weise modifiziert
wurde, die sich nach einer weiteren willkürlichen Tabelle
änderte. Wie konnte Pirelli nur davon ausgehen, daß
er, Joe, sich daran erinnern würde? Und was, zum Teufel, war
zugleich derart wichtig und derart geheim, daß Pirelli
erwartete, er würde es versuchen? Alles, was mit der
Seuchenkommission zu tun hatte, würde mit einem
Regierungscode, mit einem Kurier oder über Angel kommen.
Außer wenn es sich um etwas so Merkwürdiges
handelte, daß Pirelli noch nicht bereit war, es zu den
Unterlagen der Kommission zu geben, und wenn Angel nicht greifbar
war, um als Kurier zu fungieren. Etwas Politisches? Oder
bloß ein megalomanisches Spiel?
Joe hatte Kopfschmerzen. Sein Hals war immer noch rauh, und
das Innere seines Mundes fühlte sich an, als ob da drin
etwas gestorben wäre. Das Schlimmste waren die Schmerzen in
seiner Brust. Was würde Caroline Brekke sagen? Was, zum
Teufel, konnte sie ihm sagen?
Joe putzte sich die Zähne, trank ein Glas Wasser und nahm
eine Brainie. Dann setzte er sich mit Kugelschreiber und Papier
vor den Bildschirm.
Die Erinnerung kam langsam. Sechs Yamwurzeln, dreizehn
Brote… Jesus Christus. Es war nach sechs, als er
schließlich sicher war, daß er es hatte; das
Sonnenlicht fiel in langen, diagonalen Streifen auf den Boden
seines Zimmers. Die Botschaft war in den melodramatischen
Chiffren abgefaßt, die Pirelli für
Teenager-Kriegsspiele entwickelt hatte, mit Pseudogefangenen,
elektronischer Vernichtung, verwegenen, blödsinnigen
Schmuggel- und Spionageaktivitäten und was sie in ihrer
überhitzten Unschuld damals noch so alles für
höchst aufregend gehalten hatten:
STÄNDIG IM AUGE BEHALTEN, BIS ICH EINTREFFE, NICHT AUS
DEM GEBIET ENTWISCHEN LASSEN, VERFÜGT ÜBER
INFORMATIONEN, DIE FÜR DIESEN KRIEG VON GRÖSSTER
BEDEUTUNG SIND: ROBERT ANTHONY BREKKE
9.
ROBBIE
Robbie war gereizt und unruhig, eine Nachwirkung der
Schlafkappe. Er rutschte auf seinem Sitz im Flugzeug herum, als
ob er in einer Zelle wäre. Unter ihm schimmerten hin und
wieder unscheinbare Lichttupfer in der gewaltigen, dunklen Masse
der Rockies auf, die sich ihrerseits in der noch gewaltigeren,
unermeßlichen Stille der Nacht verlor. Das Holo der
brünetten Stewardess flimmerte lange genug im Gang auf, um
allen mitzuteilen, daß die Ortszeit zweiundzwanzig Uhr drei
war. Robbie schlug die Beine übereinander, stieß mit
dem Knie gegen den Sitz vor sich und stellte seine Uhr. Sie gab
ein scharfes kleines Summen von sich und erlosch. Die
Zentraleinheit war hin. Er schnitt eine Grimasse und warf sie in
den Abfallbehälter.
Da war etwas, woran er sich nicht erinnern konnte, etwas, das
am Rand seines Bewußtseins lag wie feuchte Luft um den
Lichtkreis eines Feuers. War es ein Traum gewesen? Ein Traum
wovon? Er konnte sich nicht erinnern.
Auf dem Flughafen von Rawlins wollten sie am Schalter der
Luftwagenvermietung – keine Kabine mit einem Terminal,
sondern ein richtiger Schalter mit einem echten Menschen
dahinter, einem kleinen, drahtigen Mann mit Haaren wie Sandpapier
– kein Bargeld akzeptieren. Vielleicht, deutete der kleine
Mann dezent an, wisse der Gentleman nicht, wie teuer die
Luftwagentechnologie immer noch sei? Ob er denn nicht
einsähe, daß sich die Mietfirma gegen etwaige
skrupellose Zeitgenossen schützen müsse?
Doch, erwiderte Robbie, das sähe er ein. Sie wollten eine
Kontonummer, sie wollten eine Ausweisnummer, sie wollten einen
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