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Schädelrose

Schädelrose

Titel: Schädelrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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gefangenen
Worte in den Stickmustertüchern, die die Damen in Missouri
an die Wände ihrer Salons hängten.
    In Salt Wells gelang es Johnny Lee schließlich, alles zu
arrangieren. Er erzählte es Mallie in einem knappen Ton, der
ihn warnte, keine Fragen zu stellen. Mallie saß mit der
Flasche in der Hand in einem weiteren schmucklosen Zimmer und
stellte keine. An der Brust von Johnny Lees Weste klebte
Erbrochenes, und eine Seite seines Gesichts war aufgeschürft
und geschwollen. Hatte es einen Kampf gegeben? War Mallie daran
beteiligt gewesen? Er konnte sich nicht erinnern. Aber er
betastete beide Seiten seines Gesichts und fand keine
Schwellungen oder Verletzungen, nur Bartstoppeln und einen
dünnen, sauren Film wie schmutziges Wasser.
    Sie beschafften sich im Mietstall zwei Pferde und ein Packtier
und ritten nordwärts über die leeren Ebenen. Richtung
Black Butler, sagte Johnny Lee. Wo die Landpost auf ihrem Weg zu
den Überresten der Bergarbeitercamps durchkam, sagte Johnny
Lee. Die Kutsche würde mit einer Fracht von Wells Fargo ganz
allein da draußen sein, sagte Johnny Lee, und einfach vor
sich hintändeln wie ein hübsches Mädchen in einem
Petticoat aus Satin auf dem Weg zur Kirche, dem das Kleid
gelüpft wurde, bevor es überhaupt merkte, daß
jemand da war, der mit den Dingen darunter etwas anzufangen
wußte.
    Mallie machte ein erstauntes Gesicht. »Wells Fargo?«
    »Genau die«, sagte Johnny Lee. »Spring in
die Klamotten.«
    Mallie schaute an sich hinab und stellte überrascht fest,
daß er keine anhatte. »Aber Johnny Lee – die
sind bewaffnet. Und sie sind bestimmt bessere Schützen als
wir.« Da er Angst hatte, Johnny Lee wütend zu machen
– Johnny Lee wurde jetzt bei jeder Kleinigkeit wütend
–, fügte er sofort hinzu: »Weil sie älter
sind.«
    »Wir werden nicht auf sie schießen«, sagte
Johnny Lee. »Wir werden sie sprengen.«
    »Eine Kutsche sprengen? Nein, du meinst einen Zug.
Züge sprengt man.«
    »Herrgott, was bist du für ein Haufen
Scheiße«, sagte Johnny Lee angewidert. »Sieh
dich nur mal an. Ich sollte dich hierlassen.«
    Mallie begann zu weinen. Er verabscheute sich selbst für
sein Geflenne, aber er konnte nicht aufhören. Seine Worte
kamen in kurzen, feuchten Stößen heraus, wie
Fürze. »Johnny Lee… wo ist das Geld von meinen
Ohrringen?«
    »Zieh dich an!« rief Johnny Lee.
    »Wir brauchen gar nichts zu sprengen, Johnny Lee. Wir
haben Geld. Wir haben das Geld von meinen Ohrringen.«
    Johnny Lee sah ihn mit ausdruckslosen blauen Augen an, und
dann kam er und legte Mallie den Arm um die Schultern, und Mallie
war so dankbar für die Berührung und die Sanftmut in
Johnny Lees Stimme, daß es ihm nicht mal was ausmachte,
daß er bis aufs Unterzeug nackt war, er lehnte sich nur in
Johnny Lees Arm zurück und hörte zu.
    »Die Ausrüstung für eine so große Sache
wie diese ist teuer, Kleiner. Wird schon nicht schiefgehen.
Wart’s ab. Zieh dich an.« Und Mallie hatte sich
angezogen.
    Sie verließen Salt Wells im Morgengrauen auf den besten
Pferden, die Mallie je geritten hatte. Er strich seinem
großen Braunen immer wieder mit der Hand über den
Hals, nur um zu spüren, wie die geschmeidigen Muskeln unter
dem Fell arbeiteten. Rechts von ihnen ging die Sonne rot und
golden über den Hügeln im Osten auf.
    Mallie hatte sich vorgestellt, daß der Postraub so etwas
wie der Zentralmast seines Lebens sein würde, der alles
andere emporheben und seinem Leben Raum und Weite geben
würde. Aber alles, woran er sich nach der langwierigen,
langweiligen Anbringung der Sprengladung und der endlosen,
nervösen Warterei erinnerte, war Geschrei und Hitze und
Licht und das Kreischen eines sterbenden Pferdes, ein schriller,
schmerzhafter Riß in der Luft, die von herumfliegendem
Splitt, Holz und Fleischbrocken erfüllt war. Später
begriff er, daß er getroffen worden war, aber zu diesem
Zeitpunkt schien der heftige Schlag an seinem Hals nur einer von
all den heftigen Schlägen um ihn herum zu sein, so daß
es ihm vorkam, als ob die ganze Welt in Stücke zerbrochen
wäre und er dazu, und das war nur richtig so.
    Dann saß er auf seinem Pferd, und Johnny Lee und er
mußten wohl wieder den Elefanten angucken gegangen sein,
denn er schwankte im Sattel, die Dinge verschwammen vor seinen
Augen und wurden wieder scharf, und die ausgedörrte, harte
Erde wurde zum fahlen, heißen Himmel und umgekehrt.
Prediger Ronson hatte sich absolut

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