Schäfers Qualen
ihn, das kann ich dir versprechen. Ich nehme beide, also die Schuhe.“
Nachdem er das Schuhgeschäft verlassen hatte, blieb er zwei Häuser weiter vor einem Bekleidungsgeschäft stehen, das mit Sommerschlussverkaufspreisen warb, die bis zu siebzig Prozent unter den bisherigen lagen. Schäfer wusste, dass die Geschäftsleute der Nobelboutiquen im Ort Spannen hatten, die sie solche Rabatte locker verschmerzen ließen. Wucherer. Dennoch betrat er das Geschäft und probierte ein paar italienische Hemden und leichte Sommerpullover an. Mit einer so schön gestalteten wie gut gefüllten Papiertasche verließ er die Boutique und ging in Richtung Hotel, wobei er sich vorkam wie ein wohlhabender Tourist. Drei handgemachte Hemden und zwei Seide-Kaschmir-Pullover: War es wegen Maria, die er bald treffen würde und die er beeindrucken wollte? Nein, ich entschädige mich für die Arbeit hier, sagte er sich und betrat die Empfangshalle. Die Rezeptionistin sah seine Tasche und fragte, ob er etwas Schönes gefunden habe; er ließ es sich nicht nehmen, seine Einkäufe auf dem Rezeptionstresen auszubreiten und von ihr begutachten zu lassen.
„Ach ja, Ihr Anzug ist gekommen. Ich hab ihn aufs Zimmer bringen lassen“, sagte sie, nachdem sie seine Hemden und Pullover mit einem Blick gewürdigt hatte, den Schäfer dahingehend interpretierte, dass sie seinen Geschmack konservativ bis langweilig fand. Er packte seine Sachen wieder ein, ließ sich den Zimmerschlüssel geben und nahm die Treppen in den zweiten Stock hinauf.
Er legte seine neuen Kleidungsstücke in den Schrank, zog Gassers Schuhe aus und verstaute sie in der Sockenlade. Dann nahm er seinen Laptop sowie sein Notizbuch und ging auf den Balkon. Unseld hatte ihm ein Mail geschrieben. Er verfasste eine knappe Antwort und versprach, sich bald wieder zu melden. Bergmann wollte wissen, wie er vorankomme; ohne einen Vornamen würde es übrigens lange dauern, bis er einen Friedrich fände, der vor dreißig Jahren in Kitzbühel war. Schäfer ging ins Zimmer zurück und holte die CD mit den Bildern, die Halder und Kern gescannt hatten. Er schob sie ins Laufwerk, schaute sich eine Übersicht der Fotos an und erstellte dann fünf neue Ordner auf dem Desktop: Je einen benannte er nach den Namen der Opfer, einen nach Friedrich und einen für Diverses. Da seine Kollegen jeweils die ganze Seite gescannt hatten, ohne die einzelnen Bilder freizustellen, was in einer einzigen Nacht gar nicht möglich gewesen wäre, blieb es nun ihm, die Fotos digital auszuschneiden, zu benennen und in den entsprechenden Ordner zu kopieren. Obwohl er davon ausging, dass ihn diese Arbeit ein paar Stunden in Anspruch nehmen würde, störte sie ihn nicht im Geringsten. Es war eine monotone und spannungsfreie Tätigkeit, die seinem Gehirn ermöglichte, seine Gedanken zu ordnen, ohne dass er es mitbekam. Abermals verbrachte er beim Ansehen der Bilder mehr Zeit als notwendig. Es war die Kombination von wahren Berühmtheiten und der Kulisse seiner Heimat, die ihn faszinierte. Erol Flynn war dieselbe Runde im Wald gegangen wie er. Ava Gardner war dort im Schnee gesteckt, wo er seinen ersten Pflug geschafft hatte. So war es bereits früher Nachmittag, als er auf ein Foto stieß, das er sofort auf den gesamten Bildschirm vergrößerte. Friedrich, an seiner Seite ein junger Mann, der nach Schäfers Ermessen der war, der auf einem anderen Bild dem Fotografen den Rücken zugewandt hatte, und eine junge Frau, die verstohlen lächelnd neben ihm stand. Das Gesicht erinnerte ihn an jemanden. Schäfer kopierte das Foto in den Ordner „Friedrich“ und markierte die Datei rot. Als sein Blick auf die Uhr am oberen Bildschirmrand fiel, griff er zu seinem Mobiltelefon und wählte eine Nummer, die er schon unzählige Male am Display gehabt hatte, ohne den Mut zu finden, die Anruftaste zu drücken.
„Delavigne“, meldete sich eine Frauenstimme, die sich anhörte, als wäre sie gerade einen halben Kilometer zum Telefon gerannt. Schäfer schluckte.
„Ähm … ich bin’s …“, presste er hervor.
„Johannes? „, fragte sie erheitert, „ja, ich geb’s zu: Ich habe die drei umgebracht, weil ich den Major endlich wiedersehen wollte. Verzeihst du mir?“
„Na, dein Humor war jedenfalls noch nicht totzukriegen … wieso eigentlich drei?“
„Oh natürlich … der Gasser hat sich ja selbst umgebracht, wie konnte ich das verwechseln.“
„Na gut, hier ist offensichtlich immer noch nichts geheim zu halten … Können wir uns
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