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Schäfers Qualen

Schäfers Qualen

Titel: Schäfers Qualen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Haderer
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ihn dann fallen gelassen. Der junge Mann war binnen kürzester Zeit zu einem Staatsfeind, in zwanzig Jahren Haft zu einem entmutigten Endvierziger, seine Leidenschaft zu giftigem Zynismus geworden.
    Schäfer schulterte seinen Rucksack, stieg aufs Fahrrad und fuhr weiter. Diese Idylle aus wolkenlosem Himmel, zylindrischen Heuballen und alten Bauernhäusern, dieses Paradies, das sich bei widrigem Gedankenwetter schnell zum Gegenteil wandeln konnte, zu einem verkitschten Indikator der Existenz brutaler Gegensächlichkeiten, ein Paradies, das dem Sehenden die Hölle andeutete – Schäfer ermahnte sich, diese Gedanken abzuschütteln und nur den Tag zu genießen. Du bist ein Tourist hier, sagte er sich, schau nur dein Fahrrad an. So kam er in St. Johann an, wo er in einer Bäckerei einen Apfelkuchen und einen Orangensaft kaufte und sich an einen kleinen Tisch auf dem Gehsteig setzte. Während er vor sich hin kaute, versuchte er sich an einem alten Trick, den er schon als Jugendlicher angewandt hatte, wenn ihn das eigene Denken überforderte. Den Mund leicht offen halten; die Augen starr auf einen unbewegten Gegenstand vor sich richten; dabei an den apathischen Insassen einer psychiatrischen Heilanstalt denken, dessen Ausdruck es nun zu imitieren gilt.
    Als ihm ein Stück Apfelkuchen aus dem Mund fiel, beendete Schäfer seine Übung. Er griff in den Rucksack, holte sein Telefon heraus und rief Konopatsch an.
    „Knochen! Der Major hier … Ja, das habe ich mir schon gedacht, dass da nicht viel dabei herauskommt … Aber ich rufe wegen was anderem an: Kannst du mir nachschauen, ob du bei euch irgendwas über einen Gerhard Obernauer findest … Der hat sich 1990 in Kitzbühel erschossen und angeblich hat es keine Autopsie gegeben … Die Waffe? Eine Heckler & Koch P7, 9 Millimeter … Ja … Und noch was: Wie schwierig ist es eigentlich, diese Ketamin-Xylazin-Mischung zu dosieren? … Also, dass der Betäubte dabei nicht stirbt … Hmh … Nein, ich wollte nur wissen, ob man dazu eine medizinische Ausbildung braucht oder ob man da im Internet nachschaut und … Gut … Knochen, danke dir einstweilen, und wenn bis bald, dann hoffentlich privat … Ja, da hast du wohl recht … Servus.“
    Bevor er das Telefon wegpackte, schaute Schäfer auf die Displayuhr und stellte fest, dass er die restlichen zehn Kilometer sehr zügig fahren musste, um pünktlich bei Foidl zu sein. Er stand auf, schüttelte sich die Kuchenbrösel vom T-Shirt, rief einen Gruß in die Bäckerei hinein und machte sich auf den Weg – eine teils asphaltierte, teils geschotterte, einspurige Straße, die ohne nennenswerte Steigungen nach Fieberbrunn führte, sodass Schäfer bereits nach zwanzig Minuten im Ortszentrum war. Foidl wohnte allerdings dreihundert Höhenmeter über dem Dorf, an einem sonnseitigen Hang, von dem sich das gesamte Tal überblicken ließ. Vermutlich, um stets auf die mögliche Ankunft der Russen, der Franzosen oder sonstiger Feinde des freiheitsliebenden Tirolers vorbereitet zu sein, ärgerte sich Schäfer, während er die steile Bergstraße im ersten Gang zu bezwingen versuchte. Als er keuchend und durchnässt bei Foidls Haus oder Horst ankam, schritt der ihm mit einem breiten Grinsen entgegen – um den Hals einen Swarowski-Feldstecher der jüngsten Generation.
    „Bravo, Herr Major … da muss ich mein Bild von der Wiener Polizei gleich revidieren …“
    „Und wie war das bisher?“, schnappte Schäfer nach Luft, „fettärschige Pragmatisierte, die für die Laufarbeit drahtige Ungarn und Slowaken einsetzen, die bei Brot und Wasser im Keller des Reviers schmachten?“
    „So schlimm nun auch wieder nicht“, wiegelte Foidl ab und bat Schäfer ins Haus.
    Sie gingen in die Küche, wo Foidl ihm ein Halbliterglas Mineralwasser einschenkte und dann für einen Moment verschwand, um mit einem frischen T-Shirt wiederzukommen, das Schäfer dankbar annahm, auch wenn ihn der Aufdruck „10. Hundeführertreffen der Tiroler Bezirksgendarmen“ ein wenig befremdete. Ob er lieber auf der Terrasse säße? Nein, er hatte in den vergangenen zwei Stunden ohnehin genug Sonne abbekommen; in der Küche passte es ihm ganz gut.
    Die Familienfotos an der Wand, die Vase mit Wiesenblumen auf dem Tisch sowie das Fehlen jeglicher polizeilicher Urkunden, Pokale oder sonstiger Law-and-order-Devotionalien ließen den Rest von Misstrauen und Aggression, den Schäfer noch den Berg mit heraufgeschleppt hatte, verschwinden und er entschied sich für ein offenes

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