Schäfers Qualen
sein. Er wartete, bis sein Tee abgekühlt war, trank ihn in kleinen Schlucken, rauchte eine Zigarette und rief die Kellnerin, um zu bezahlen.
Der von ihm oft beschrittene Weg zum Schuldirektor kam ihm in den Sinn, als er über den leicht abschüssigen Hotelparkplatz in Richtung Revier ging. Er wollte sich keine Vorstellungen machen, was oder wer ihn alles erwartete – davon würde das ungute Gefühl auch nicht verschwinden. Umso überraschter war er von der Stimmung, die im Revier herrschte. Aufgekratzt wäre übertrieben gewesen, das verhinderte wahrscheinlich der Todesfall, der sich erst vor kurzem in einer der Zellen ereignet hatte. Doch an Walchs Empfang und dem für seine Verhältnisse fast aufgedreht wirkenden Staatsanwalt Reinisch konnte Schäfer sofort erkennen, dass sich etwas Entscheidendes getan haben musste. Aufschnaiter kam ihm zufrieden lächelnd entgegen und fragte, ob er ihm einen Cappuccino machen solle, was Schäfer allein schon der Frage wegen dankbar annahm.
Reinisch klatschte in die Hände, was diejenigen, die mit den Unsitten des Staatsanwalts noch nicht vertraut waren, erst nach kurzem Zögern und fragenden Blicken als Aufforderung, ins Besprechungszimmer zu kommen, verstanden.
Schäfer setzte sich auf den Stuhl, auf dem er bisher immer gesessen hatte. Der Staatsanwalt nahm ihm gegenüber Platz. Als Reinisch nach einem künstlichen Räuspern beginnen wollte, kam Baumgartner in den Raum, entschuldigte sich für ihr Zuspätkommen und setzte sich neben Schäfer.
„Als Erstes möchte ich Ihnen allen, auch im Namen des Innenministers und natürlich vonseiten des hiesigen Bürgermeisters, für Ihren vorbildlichen Einsatz in diesem alles andere als alltäglichen Fall großes Lob aussprechen.“
Schäfer drehte seinen Kopf zu Baumgartner und sah sie perplex an. Was ging hier vor? Hatte er was versäumt?
„Über die etwas, gelinde gesagt, unkonventionellen Ermittlungsmethoden von Major Schäfer möchte ich hier in diesem Raum nichts sagen … das wird Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein, der ich, soweit ich die Sachlage überschaue, relativ gelassen entgegensehe. Vorausgesetzt natürlich, Sie lassen sich im weiteren Verlauf der Ermittlungen nichts zuschulden kommen, Herr Major. Beispiel sollten Sie alle sich an diesen Methoden aber bitte keines nehmen“, lächelte Reinisch angestrengt, als wäre dies der Witz gewesen, den er seinen Zuhörern bei jedem Vortrag schuldig war.
Schäfer starrte ungläubig in die Runde.
In der nächsten Stunde klärte sich die Situation auf. Allerdings auf eine Weise, mit der Schäfer ebenso wenig gerechnet hatte, wie sie ihm geheuer erschien. Nach der Überstellung von Kranz’ Leiche an die Gerichtsmedizin hatten Bruckner und Havelka dessen Haus durchsucht. In einer Schreibtischschublade hatten sie eine Pistole gefunden und die Waffenölrückstände darauf mit denen an Krassnitzers Kleidung verglichen. Die Zusammensetzung war identisch, und zumal das festgestellte Waffenöl „Ballistral“ seit Mitte der Achtziger nicht mehr hergestellt wurde, war es sehr wahrscheinlich, dass die gefundene Pistole dieselbe war, mit der Krassnitzer auf der Baustelle erschienen war.
Als endgültigen Beweis für die Täterschaft Kranz’ werteten die Ermittler und der Staatsanwalt einen kurzen Brief, den Kranz offensichtlich geschrieben hatte, als Baumgartner mit ihren beiden Kollegen vor der Tür stand. „Es tut mir alles so leid. Ich wollte den Studenten nicht töten. Kranz.“ Ein erster Handschriftenvergleich hatte die Echtheit des Dokuments bestätigt. Was jetzt noch zu tun blieb, war, Kranz’ Verbleib zu den Tatzeiten zu untersuchen und zu hoffen, dass sich keine Ungereimtheiten auftaten. Doch dem würde der Staatsanwalt schon vorbeugen, war sich Schäfer sicher.
„Kranz war kein Bergsteiger“, wandte er ein, als Reinisch in seinem Bericht eine Pause machte.
„Wie meinen Sie, Herr Major?“, erwiderte der Staatsanwalt gereizt, als wäre Schäfer nur als stummer Zuhörer zugelassen.
„Er war fett, kein Sportler“, erklärte Schäfer, „wie hätte der auf den Karstein kommen sollen. Da geht keine Straße hinauf, falls das noch nicht bekannt ist.“
„Details, Schäfer … Details, die sich dem Ganzen stimmig einfügen werden.“
„Das sind keine Details, das ist der Tathergang … Außerdem passt die Inszenierung überhaupt nicht zu einer Abrechnung unter ehemaligen Komplizen. Wofür hätte sich Kranz denn rächen sollen? Die waren alle bestens im
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