Schängels Schatten
das?«
»Hm – ich sehe Geheimratsecken. Und einen Bauch.«
»Damals habe ich vielleicht siebzig Kilo gewogen, heute sind es hundertzwanzig. So ist das Leben.«
»Und dann dieser Anzug. Du siehst aus wie der Typ aus ›Tod in Venedig‹.«
»Das ist meine Arbeitskleidung. Weißer Anzug, schwarzes Hemd, schwarzes Einstecktuch.«
»Jetzt hast du aber frei.«
»Musiker bin ich rund um die Uhr.«
»Hast du auch einen Panamahut?«
»Er liegt in meinem Wagen.«
Carola verdrehte die Augen.
Dann erzählte er, wie es ihm ergangen war. Vom Tod seines Vaters 1984, vom vergeblichen Versuch, das Abitur zu bestehen, vom Umzug nach Köln.
»Warum gerade nach Köln?«, fragte Carola.
Mike zuckte mit den Schultern. »Irgendjemand hat mir erzählt, das wäre eine gute Stadt für Musiker. Ich wollte ja eigentlich Musik studieren.«
»Ohne Abi?«, fragte Carola.
»In Ausnahmefällen geht das. Aber ich hatte Schiss vor der Aufnahmeprüfung und bin gar nicht erst hingegangen. Danach habe ich in Plattenläden gejobbt, zwischendurch auch bei einer Plattenfirma, aber da musste ich nur das Archiv sortieren. Irgendwann fing das dann mit der Klavierspielerei in Bars an. Als ich merkte, dass man damit ganz gut Geld verdienen kann, habe ich mich hingesetzt und zwanzig, dreißig Stücke einstudiert. Das ist jetzt mein Repertoire. Damit komme ich den ganzen Abend hin. Und den Leuten gefällt’s. Als der Bergische Hof mein Stammkunde wurde, bin ich nach Düsseldorf gezogen.«
»Hast du nicht mal dran gedacht, eine Platte aufzunehmen?«
»Doch. I99I bekam ich sogar ein Angebot.«
»Tatsächlich?«
»Ja, aber der Produzent war ein Windhund. Erst tat er ganz begeistert. Er erzählte, er wolle einen zweiten Richard Clayderman aus mir machen.«
»Richard Clayderman – das ist doch der mit diesem berühmten Schmusestück?«
»Ballade pour Adeline, genau.«
»So was wolltest du spielen? Du als Klassik-Freak? Obwohl – wenn du damals schon den weißen Anzug getragen hast …«
Mike machte ein ernstes Gesicht. »Damals war ich fast am Ende mit meiner Klavierspielerei. Ich bekam keine Jobs, und in der Plattenfirma zu arbeiten befriedigte mich überhaupt nicht.«
»Aber du hast doch an der Quelle gesessen. Hättest du da nicht ein paar Kontakte machen können?«
»Die hatten nur internationales Business im Sinn. Keine Chance. Dieser so genannte Produzent jedenfalls ließ mich einen Vertrag unterschreiben, der mir fast das Genick gebrochen hat. Ich musste einen Großteil der Produktion selbst bezahlen, und eine CD ist auch nie daraus geworden. Alles in allem hat mich das etwa zwanzigtausend gekostet. D-Mark damals noch.«
»Wo hattest du denn so viel Geld her?«
»Das war der letzte Rest aus der Lebensversicherung meines Vaters.«
»Puh«, machte Carola.
»Insgesamt geht’s mir heute aber gut. Ich hab mich so eingerichtet. Ich habe Zeit zum Musikhören. Ich komponiere ein bisschen, und manchmal kann ich in der Hotelbar auch ein eigenes Stück einschmuggeln. Oder was Klassisches.«
Carola lächelte. »Und wie sieht’s mit Frauen aus? Verheiratet bist du ja nicht.«
»Woher weißt du das schon wieder?«
»Ich sehe keinen Ehering an deinen Händen.«
»Gut beobachtet.«
»Und sonst?«
Mike zuckte mit den Schultern. »Ab und zu mal eine Hotelbekanntschaft.«
»Ach?«
»Klavier spielen macht Männer sexy. Wusstest du das nicht?«
Sie verzog den Mund. »Ist mir völlig neu.«
Gegen Mitternacht fuhren sie zurück. Carola öffnete mit der Fernsteuerung die Doppelgarage und fuhr so hinein, dass links und rechts des Wagens sehr viel Platz blieb. »Meine Eltern haben die Garage so groß bauen lassen, weil sie unbedingt zwei Autos haben wollten. Jetzt ist sie mein privater Behindertenparkplatz«, sagte sie.
Mike spürte die sommerliche Wärme der Nacht. Die Luft duftete. »Ich bin noch nicht müde«, sagte er. »Ich würde gern noch eine Runde spazieren gehen. Es war doch ein bisschen viel auf einmal. Ich muss erst mal alles sortieren.«
»Kein Problem«, sagte Carola. »Hier ist der Hausschlüssel. Ich gehe schon schlafen. Das Gästezimmer ist gleich neben dem Arbeitszimmer.«
»Alles klar.«
»Schlaf gut. Morgen lasse ich die Katze aus dem Sack. Wenn du dabei bist.«
Mike nickte. »Man kann ja kaum widerstehen – so spannend, wie du das machst.«
»Soll das heißen, du sagst zu?«
»Ich denke, wir reden heute nicht mehr darüber?«
»Stimmt. Aber weißt du was?«
»Was denn?«
»Ich freue mich, dass wir wieder
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