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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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die Tapete gepinnt. Ein blondes Kind – fröhlich lachend, mit großen Zähnen. Dann immer derselbe junge Mann. Manche Bilder waren beim Fotografen aufgenommen und wirkten steif. Auf den späteren Fotos lachte er nicht mehr; er machte einen verschlossenen Eindruck. Das jüngste war in Farbe, es zeigte ihn als Soldat: graue Uniformjacke, schwarze Hose, auf dem Kopf ein dunkelgrünes Barett mit goldenem Emblem. Auch hier lachte er nicht.
    Weiter unten hing etwas Gemaltes. Eine bunte Kinderzeichnung. Ein Viereck mit einem Dreieck darauf – ein Haus. Fliegende Dreien – Vögel. Ein Schiff mit Schornstein, aus dem Kringel quollen. Merkwürdigerweise war der stilisierte Rauch nicht schwarz oder grau, sondern rot.
    »Das hat Wilfried gemalt, als er sieben Jahre alt war«, sagte Frau Ramann und sah versonnen die Wand an. Es war, als sei sie es und nicht Mike, die zum ersten Mal diese Bilder sah. Er setzte sich wieder.
    »Die Frage wurde Ihnen sicher schon oft gestellt«, sagte Mike. »Aber können Sie sich vorstellen, wer Ihren Sohn auf dem Gewissen hat?«
    »Nein.«
    »War denn irgendetwas anders als sonst in dieser Zeit? Hat er, kurz bevor er umkam, irgendetwas Besonderes getan? Besondere Leute kennen gelernt?«
    »Das hat mich Frau Zerwas auch gefragt. Was ist denn mit ihr? Ist sie krank?«
    »Sie … sie kann heute nicht. Sie hat mich gebeten, zu Ihnen zu fahren«, sagte er einfach. »Und ich konnte auch nicht lange mit ihr sprechen. Aber sie wollte die Verabredung unbedingt einhalten«, fügte er hinzu.
    Frau Ramann nickte wieder. »Also, das ist so«, sagte sie. »Ich habe das auch schon Frau Zerwas erzählt. Er hat im Jahr vor seinem Tod seinen Vater besucht.«
    »Und?«
    »Wilfried hat den Richard nicht gekannt. Und er wollte unbedingt hinfahren. Wie er achtzehn wurde, wollte er alles wissen. Ganz plötzlich.« Sie machte eine Pause. »Aber das hat ja damit nichts zu tun.«
    Sie trank die Flasche leer und öffnete mechanisch eine neue.
    »Vielleicht doch«, meinte Mike.
    »Das hat Frau Zerwas auch gesagt. Und ich hab gesagt, dass das Blödsinn ist, darüber zu schreiben. Aber was sollte ich machen. Frau Zerwas wusste ja schon alles …«
    »Was wusste sie?«
    »Wer der Vater vom Wilfried war.«
    Mike war verwirrt, ließ sich aber nichts anmerken. Einfach darauf eingehen, dachte er.
    »Waren Sie mit ihm verheiratet?«
    »Ach, das ist furchtbar lange her. I960. Da wurde der Wilfried geboren. Richard war dann schon wieder weg. Er hat mich allein gelassen. Mit nicht mal zwanzig Jahren. Verstehen Sie?«
    Mike verstand. Zumindest ein bisschen.
    »Das ging nur kurz. Kurz, und weg war er. Bis ich merkte, dass der Wilfried kam, war er schon weg. Nach Amerika.«
    »Ist er ausgewandert?«
    »Nein, der war von da. Ist auf dem Rhein gefahren, auf der Köln-Düsseldorfer. Ich war Kellnerin auf dem Schiff. Da hab ich den Richard kennen gelernt …« Sie trank. Mike wartete, bis sie die Flasche absetzte.
    »Wie hieß er mit vollem Namen?«
    »Richard Nair. Mit ›ai‹.« Frau Ramann sprach den Vornamen deutsch aus. »Wilfried ist hingefahren. Nach Kalifornien. Fast zwanzig Jahre nichts von ihm gehört, und der Wilfried fährt da hin. Nichts zu machen. Er wollte es nun mal so.«
    Frau Ramann zog von irgendwoher eine Zigarette hervor und steckte sie an. Kurz darauf stand blauer Dunst in dem engen Zimmer. Mike brach der Schweiß aus.
    »Und das haben Sie alles Frau Zerwas erzählt?«
    »Sie wusste das schon. Sonst hätte ich nichts gesagt. Es ist nicht gut, die alten Geschichten zu schreiben. Aber was soll man machen …« Sie starrte vor sich hin und zog an der Zigarette. »Wissen Sie, sie hat Richards Namen ja in diesem Netz gefunden.«
    »In welchem Netz?«
    »Na, dieses Netz. Im Computer.«
    »Sie meinen das Internet.«
    Sie nickte. »Genau. Da hat irgendwas über den Richard dringestanden. Hat Frau Zerwas jedenfalls gesagt.«
    »Und was stand da?«
    »Irgendwas. Dass er halt reich ist und so was.« Sie streifte die Zigarette an der Öffnung der leeren Bierflasche ab. »Und da stand auch was ganz Komisches.« Sie dachte einen Moment nach. »Ich frage mich, was der Wilfried damit zu tun hatte …«
    »Was meinen Sie genau?«, fragte Mike.
    »Was?«
    »Womit soll Ihr Sohn was zu tun gehabt haben?«
    »Hat Ihnen Frau Zerwas nichts erzählt?«
    »Was denn?«
    »Na, die Sache mit dem Kaiser.«
    »Wie bitte?«
    »Es ist um den Kaiser gegangen«, sagte Frau Ramann.
    »Welchen Kaiser?«
    Sie sah auf. »Na, das müssten Sie doch wissen.

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