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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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zerkratzt. Neben dem Eingang lehnten Fahrräder. Ein Klingelschild im Parterre trug den Namen Ramann.
    Mike drückte auf den Knopf und wartete. Niemand öffnete. Er stand unschlüssig herum. Plötzlich zog jemand die Tür nach innen, und zwei Mädchen kamen heraus. Mike schätzte sie auf etwa dreizehn Jahre. Sie trugen bauchfreie T-Shirts, Bauchnabel-Piercing und Jeans mit Schlag.
    »Wisst ihr, ob Frau Ramann zu Hause ist?«, fragte Mike.
    »Was willste denn von der verstrahlten Alten?«, sagte das eine Mädchen, ohne seinen arroganten Gesichtsausdruck auch nur im Geringsten zu verändern.
    »Ist sie da oder nicht?«
    »Die ist doch immer da«, sagte die andere, und die beiden machten sich im Gleichschritt davon.
    Mike fing die Tür ab, bevor sie ins Schloss fiel. Im Treppenhaus war es kühler, dafür stank es nach Kartoffelkeller und Küchenmief. Mike fand die richtige Wohnungstür und lauschte. Er hörte Stimmen. Es klang wie ein Fernseher. Er suchte eine Klingel, fand keine und klopfte auf das dunkle Holz.
    »Frau Ramann?«, rief er. »Hallo?«
    Der Fernseher wurde leiser gestellt.
    »Frau Ramann …?«
    Niemand antwortete. Dafür ging die Lautstärke wieder nach oben.
    Wie hatte er nur glauben können, hier drin sei es kühl? Es war eher wie in einer Waschküche.
    »Ich möchte Sie nur was fragen«, rief Mike. »Frau Ramann, hören Sie mich?«
    Mike lauschte an der Tür. Es kam keine Antwort.
    »Frau Ramann?«
    »Gehen Sie weg«, kam es von innen.
    Plötzlich ging die Tür auf, und eine kleine alte Frau starrte Mike misstrauisch an.
    »Entschuldigen Sie die Störung, Frau Ramann. Mein Name ist Engel.«
    »Ja, und?«
    Mike zögerte. Es war am besten, gleich nach Carola zu fragen.
    »Ich müsste wissen, ob eine gewisse Frau Zerwas bei Ihnen war. Das ist eine Bekannte von mir, die sich mit Ihnen treffen wollte.«
    »Zerwas? Die Frau im Rollstuhl?« Sie nickte langsam.
    Bingo.
    »Kommen Sie rein«, murmelte sie.
    Mike durchquerte mit zwei Schritten eine Minidiele und betrat ein winziges Wohnzimmer.
    Die Frau wies auf einen abgeschabten Sessel neben dem leise gestellten Fernseher. Auf dem Bildschirm lief eine Verkaufssendung. Ein Mann nahm gerade eine Bohrmaschine aus einem Werkzeugkasten und setzte die Spitze auf ein Sperrholzbrett.
    Mike setzte sich in den Sessel. Als er an den Couchtisch stieß, klirrte eine Batterie von Bierflaschen. Es war verdammt eng.
    »Was trinken?«, fragte Frau Ramann.
    Mike schüttelte den Kopf. »Ich möchte Sie nicht lange aufhalten.«
    »Das ist doch das Beste bei dem Wetter«, sagte sie. »Prost.« Sie nahm eine der Flaschen und trank glucksend. Strähnen ungepflegter aschblonder Haare rutschten nach hinten, als sie den Kopf in den Nacken legte. Ihre Augen waren rot geädert. Es war ein Ausdruck darin, als hätte sie gerade geweint.
    »Sie haben also mit Frau Zerwas gesprochen«, sagte Mike, der nicht wusste, wie er anfangen sollte.
    »Sind Sie auch von der Zeitung?«
    Mike nickte. Sich als Carolas Kollege auszugeben war das Einfachste.
    »Wo ist denn Frau Zerwas?«, fragte sie. »Sie wollte doch mitkommen.«
    »Heißt das, Sie haben sie erwartet?«
    Sie nickte. »Diese Woche wollte sie noch mal kommen. Sie hat gesagt, dass sie jemanden mitbringen wollte.«
    Damit hat sie wohl mich gemeint, dachte Mike. Sie hat fest damit gerechnet, dass ich zusage und ihr helfe. »Frau Zerwas ist … leider verhindert.«
    Frau Ramann nickte nur und starrte vor sich hin.
    »Sie haben doch mit Frau Zerwas über Ihren Sohn gesprochen, oder?«
    Sie nickte weiter.
    »Es wäre gut, wenn Sie mir da noch mal auf die Sprünge helfen könnten …«
    Sie sah Mike immer noch nicht an, sondern hielt den Blick auf die Bierflasche in ihrer Hand geheftet.
    »Ich denke manchmal, es ist gar nicht so gut, wenn man die alte Geschichte wieder ausgräbt«, meinte sie.
    »Was hat Frau Zerwas wissen wollen?«
    »Sie hat ein paar Fragen gestellt, was er beruflich gemacht hat und so …«
    »Er war Soldat.«
    Sie nickte. »Unteroffizier im Sicherungszug des Dritten Korps.«
    Mike sagte das nichts. Koblenz war eine große Garnisonsstadt. Aber er selbst hatte keine Ahnung von Bundeswehrstrukturen und Dienstgraden. Er war zum Glück untauglich für den Militärdienst gewesen. Dank einer Haselnussallergie.
    Frau Ramann stand auf und deutete auf die Wand gegenüber. »Schauen Sie.«
    Mike hob sich aus dem Sessel und achtete darauf, nichts umzuwerfen.
    An der Wand hingen Fotos. Manche eingerahmt, andere mit Reißzwecken einfach an

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