Schängels Schatten
könnten Sie mir ja die Sachen zur Verfügung stellen. Mich interessiert es nämlich sehr.«
Nickenich holte Luft, wollte etwas sagen, doch er schüttelte nur den Kopf. Jetzt hielt er Mike offenbar für komplett geistesgestört.
»Sagen Sie mal, Sie sind nicht ganz bei Trost, oder?«
»Aber …«
»So weit kommt’s noch. Wenn Sie wollen, können Sie gelegentlich Herrn Dr. Lieb mann danach fragen.«
»Wer ist das denn?«
»Der Ehemann von Frau Zerwas. Ich hatte heute Nacht schon ein Gespräch mit ihm. Ihm werden die Sachen ausgehändigt, wenn es so weit ist.«
Der Kommissar starrte Mike eine Weile schweigend an.
»Kann ich jetzt gehen?«, fragte Mike.
Nickenichs Blick wurde mitleidig.
»Ich sage hiermit aus«, rief Mike. »Ich bin in Koblenz geblieben, weil ich der Geschichte vom Kaiserdenkmal nachgehen wollte, an der Carola arbeitete. Um Hinweise zu finden, bin ich mit dem Schlüssel, den ich noch hatte, in ihr Haus eingedrungen. Ich habe den Schlüssel nicht vor Ihnen verborgen. Ich habe ihn zufällig wieder gefunden.«
»Waren Sie allein?«
»Nein, war ich nicht.«
»Und wen hatten Sie dabei? Die alte Schulklasse?«
»Eine ehemalige Schulkameradin von Carola und mir. Sie heißt Anita Hoffmann.«
Nickenich zückte einen Stift. »Und wohnt wo?«
»In der Rheinstraße. Die Hausnummer weiß ich nicht. Es ist das Hochhaus an der Ecke.«
Nickenich schrieb es auf. Er legte das Blatt und den Stift neben die Akte auf den Tisch.
»Kann ich endlich gehen?«
»Einen Moment noch. Sie sind also mit dieser Frau Hoffmann in das Haus eingedrungen, haben nach Hinweisen gesucht und …«Er machte eine Pause.
»Ja?«, fragte Mike.
»Sie haben nichts gefunden, nehme ich an?«
»Ehrlich gesagt, doch.«
Nickenich schlug wieder auf den Tisch. »Es wird immer besser.«
»In Carolas Auto in der Garage lag ein Stadtplan, in dem etwas eingezeichnet war. Wir hielten die Markierung für einen Hinweis darauf, wo das echte Denkmal sein könnte.«
»Wo ist die Karte?«
»Anita, ich meine, Frau Hoffmann hat sie.«
»An welcher Stelle war die Markierung?«
»Neben dem Rastplatz Eiserne Hand an der Hunsrückhöhenstraße.«
Nickenich ging ein paar Schritte auf und ab. Dann blieb er plötzlich stehen.
»Raus«, sagte er ruhig.
»Was?«
»Hauen Sie ab.«
»Aber wieso denn?«
»Ich nehme Ihnen ab, dass Sie in das Haus eingedrungen sind. Aber ich lasse mich von Ihnen nicht verscheißern.«
»Aber ich …«
»Halten Sie uns für völlig bescheuert? Wir haben das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Und das Auto in der Garage natürlich auch. Und jetzt erzählen Sie mir, Sie finden einen Stadtplan, wo schön ordentlich eine Markierung eingezeichnet ist? Das kommt mir vor wie aus einer dieser Kinderdetektivgeschichten. Kalle Blomquist, die drei Fragezeichen und so weiter.«
»Was?«
»Und dann auch noch ausgerechnet mitten im Koblenzer Stadtwald. Als ob dort jemand ein Denkmal verstecken würde!«
»Aber …«
»Hauen Sie ab. Sie hören von uns. Die Sache mit dem Siegel wird ein Nachspiel haben.«
Mike stand auf. Seine Knie zitterten. Langsam ging er zur Tür.
»Halt!«, schrie Nickenich plötzlich.
Mike drehte sich um.
»Den Schlüssel.«
»Welchen Schlüssel?«
»Den Schlüssel zu Frau Zerwas’ Haus. Den sollten Sie schon hier lassen.«
Mike kramte in der Hosentasche und legte ihn auf den Tisch.
»Noch was«, sagte Nickenich.
»Ja?«
»Wir behalten Sie im Auge, Herr Engel. Gnade Ihnen Gott, wenn Sie die Stadt verlassen, ohne dass Sie sich persönlich bei mir abgemeldet haben.«
Der Frühstücksraum im Hotel war voll. Menschen im Frührentneralter bevölkerten die Tische und das Büffet. Sie gehörten offenbar zu einer Reisegruppe. Mike brauchte gar nicht genau hinzuhören, um zu wissen, aus welchem Land sie kamen. Die kehligen Laute und die Worte, die manchmal wie ein komischer deutscher Dialekt klangen, ließen keinen Zweifel aufkommen: Holländer.
Mike ergatterte ein Brötchen, etwas Butter und Marmelade. Dann trug er seinen Teller quer durch den Raum und setzte sich in die hinterste Ecke an einen Tisch, an dem schon ein holländisches Ehepaar saß. Mike nickte ihnen höflich zu; sofort begannen die beiden zu grinsen und riefen ihm etwas entgegen, das so ähnlich wie »Guten Morgen« klang. Dann wandten sie sich ab und fuhren fort, sich über die Stuhllehnen lautstark mit ihren Landsleuten am Nachbartisch zu unterhalten. Ab und zu brachen alle zusammen in brüllendes Gelächter aus. Mike
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