Schängels Schatten
schuldig.«
Was für ein Arschloch, dachte Mike.
»Das hat überhaupt nichts mit meiner Ehe zu tun. Und es ist auch nicht Carolas Schuld.«
»Nett, dass Sie sie in Schutz nehmen.«
Sie waren die Treppe zur Rhein-Mosel-Halle hinuntergegangen. Der Schalenbrunnen glitzerte im Licht des Sommermorgens. Der leere Vorplatz wirkte im Sonnenlicht geradezu steril. So sieht es wahrscheinlich in der Seele von diesem Liebmann aus, dachte Mike. Alles schön sauber und aufgeräumt.
»Nachdem ich jetzt so ehrlich zu Ihnen war, sollten Sie es zu mir auch sein«, sagte Liebmann. »Ihnen ist klar, dass Carola auf keinen Fall das Recht hatte, sich mit einem anderen Mann einzulassen. Ich bin schließlich gesund. Ihre Bedürfnisse kamen nie zu kurz.«
Und ich habe das große Bedürfnis, dir eine reinzuhauen, dachte Mike. Ob du mir diese Befriedigung gestattest? Er beherrschte sich und biss sich auf die Lippen. Er musste diesen Idioten möglichst schnell loswerden. »Wieso erzählen Sie mir das eigentlich alles?«, fragte er.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Liebmann.
»Ich meine, wie kommen Sie auf so eine absurde Unterstellung? Hat Ihnen Carola erzählt, dass ich was mit ihr hätte, oder was? Und wenn das so wäre, nur wenn, wohlgemerkt, was nützt es Ihnen denn, das alles zu wissen? Sie ist tot. Und ich wiederhole gern: 1982 habe ich Carola zum letzten Mal gesehen, dann erst wieder an dem Abend, als sie umkam. Klar? Sie, Herr Liebmann, habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gesehen, und ich habe auch beim Gespräch mit Carola erst erfahren, dass es Sie gibt. Ist das auch klar? Ja? Gut. Punkt. Mehr gibt es nicht zu sagen.«
Mike wollte weggehen, doch Liebmann hielt ihn fest.
»Lassen Sie mich los«, zischte Mike.
»Halt, halt, mein Freund. Nur noch eine Frage. Wohnen Sie in Düsseldorf?«
»Was fragen Sie so dämlich? Sie wissen es doch aus der Polizeiakte.«
»Richtig. Carola kennt aber niemanden dort außer Ihnen.«
»Das ist mir völlig egal.«
»Sie ist in den letzten Monaten einige Male nach Düsseldorf gefahren. Angeblich, weil sie für das dortige dpa-Büro arbeitet.«
»Na und?«
»Außerdem hat sie regelmäßig Geld auf ein Düsseldorfer Konto überwiesen. Seit Jahren.«
»Nicht auf meins. Das wüsste ich.«
»Ich habe das nachgeprüft. Im Düsseldorfer dpa-Büro kannte man Carola gar nicht. Wie erklären Sie sich das?«
»Was weiß ich? Vielleicht hat sie irgendeinen anderen Bekannten da. Kennen Sie etwa alle Kontakte, die Carola hatte?«
»Selbstverständlich«, sagte Liebmann, als sei das das Normalste der Welt. »Ich kenne ihren gesamten Bekanntenkreis.«
»Offenbar nicht«, sagte Mike. »Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.«
Er ließ Liebmann stehen und ging wieder zum Hotel hinauf. Als er die Einfahrt erreichte, bemerkte er eine schwarze Limousine, die ihm vorhin nicht aufgefallen war. Hinter der offen stehenden Beifahrertür lehnte eine Blondine, die Kaugummi kauend dumpf in die Gegend starrte. Aus ihren Ohren hingen dünne Kabel. Sie führten in einen Walkman an ihrem Gürtel. Während ihre Augen ins Leere stierten, kräuselte sie mit dem rechten Zeigefinger im Takt der Musik eine blonde Strähne.
Mike ging durch die Glastür in die Lobby und beobachtete, wie Liebmann auf die Limousine zuging und dem Mädchen über den Rücken strich. Beide stiegen ein. Dann rollte der Wagen davon. Mike schüttelte den Kopf und fuhr auf sein Zimmer. Während der Aufzug nach oben wanderte, ging das Bild, das er von Carola hatte, Stück für Stück in Scherben. Es war kein angenehmes Gefühl. Wie war sie nur an so einen Blödmann geraten? Was war mit ihr passiert?
Im Zimmer riss er sich die Kleider vom Leib. Zum Baden hatte er keine Geduld. Er duschte so kalt, wie er es aushielt, trocknete sich hektisch ab und legte sich wieder aufs Bett. Die Gedanken an Carola kehrten zurück, und er bemerkte, dass er wieder ins Grübeln geriet. Es hat keinen Zweck, sagte er sich. Er griff zum Telefon, holte sich eine Amtsleitung und wählte eine sehr lange Nummer. Das Freizeichen schien endlos zu tuten, bevor sich eine Frauenstimme meldete.
»Hallo?«, rief er in die Leitung. »Ist da Deborah Nair?«
»Ja. Wer spricht da?«
Mike hatte sich die entsprechenden Worte auf Englisch zurechtgelegt, so dass sie ihm jetzt leicht von den Lippen kamen.
»Hier ist noch mal Mike Engel. Der Journalist. Ich weiß, dass es bei Ihnen jetzt mitten in der Nacht ist, aber ich muss einfach noch einmal mit Ihnen sprechen. Entschuldigen Sie
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