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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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Frau Ramann passiert ist?«
    »Sie ist im Krankenhaus.« Die Frau verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Was ist passiert?« Hat man auf sie geschossen?, wollte Mike fragen, aber er biss sich auf die Zunge.
    Die Frau zuckte die Achseln. »Ich weiß es nicht genau. Der Arzt sagte, es sei ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall. Ach Gott, ach Gott, die arme Inge.« Sie löste die Arme wieder. »Das kommt von dem vielen Trinken.«
    »Haben Sie sie gefunden?«, fragte Mike.
    Die Frau schien nach Luft zu schnappen. Ein paar Mal wischte sie sich die Hände an ihrem Hauskittel ab, bevor sie die richtigen Worte fand.
    »Ich wollte heute Mittag zu ihr – wissen Sie, ich kaufe manchmal für sie ein …«
    »Und dann?«
    »Dann hat sie eben da gelegen.«
    »Kennen Sie Frau Ramann schon lange?«
    Sie winkte ab. »Ach, ewig. Aber was wollen Sie denn überhaupt von ihr?« Die Frau sah ihn misstrauisch an. »Moment mal«, sagte sie. »Herr Engel. Von Ihnen hat mir Inge ja erzählt. Haben Sie nicht mit ihr über ihren Sohn gesprochen?«
    »Ja, genau.«
    Die Miene der Frau, die eben noch Unsicherheit gezeigt hatte, wurde abweisend. »Es ist besser, wenn Sie gehen, junger Mann.«
    »Aber warum?«
    »Sie sind doch schuld an Inges Anfall. Sie hat sich so darüber aufgeregt, dass Sie diese alte Sache wieder aufgewärmt haben.«
    »Aber es geht mir doch nur darum …«
    »Ich habe keine Lust, mich hier auf dem Gang mit Ihnen darüber zu unterhalten. Was sollen denn die Nachbarn denken?«
    »Frau Ramann hat mich gebeten, Nachforschungen über ihren Sohn anzustellen«, behauptete Mike.
    »Was?« Die Frau öffnete den Mund und schloss ihn nicht wieder.
    Mike senkte die Stimme. »Ich arbeite für die Staatsanwaltschaft«, phantasierte er weiter. »Der Mörder von Wilfried Ramann ist nie gefasst worden, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Sehen Sie, und nun sind neue Spuren aufgetaucht.«
    Mike machte eine Pause und ließ diese Auskunft wirken. Die Frau sah betreten zu Boden. »Inge hat sich immer gewünscht, dass endlich Klarheit in die Sache kommt«, sagte sie leise.
    Mike legte ihr die Hand auf den Unterarm. »Das weiß ich. Es wäre nett, wenn Sie mich dabei unterstützen könnten.«
    »Sie hat es ja so schwer gehabt …«
    »Eben.«
    »Wissen Sie eigentlich, was das damals hieß – ein Kind ohne Vater aufzuziehen?«
    »Ich kann es mir vorstellen.«
    Sie holte ein Papiertaschentuch hervor und schnäuzte sich.
    »Kommen Sie doch bitte herein. Es ist besser, wenn wir drinnen weitersprechen.«
    »Gerne, Frau …«
    »Franzen«, sagte sie. »Mathilde Franzen.«
    Ihre Wohnung lag gleich nebenan, war genauso winzig wie die von Frau Ramann, aber Frau Franzen hatte ganz offensichtlich mehr Talent, aus ihrer Umgebung etwas zu machen. Kein gigantischer Fernseher fraß die Hälfte des Raumes weg. Der Couchtisch war aus Glas, darauf stand eine Porzellanschale mit Obst. Die Wand gegenüber war mit einem weißen Regal bedeckt, das über und über mit Büchern gefüllt war. In der Ecke stand ein Ledersessel, daneben eine Stehlampe. Auf einem Beistelltischchen lag ein Buch. Es war mit durchsichtiger Folie beklebt und mit einer Signatur versehen. Ein Bibliotheksexemplar. Der Titel war nicht zu erkennen.
    »Ich möchte Ihnen keine Umstände machen«, sagte Mike. Frau Franzen bat ihn jedoch, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst in den Lesesessel. Sie lehnte sich nicht an, sondern blieb an der vorderen Kante sitzen.
    »Wann ist das denn passiert mit Frau Ramann?«
    »Wie gesagt, heute Mittag. Als ich bei ihr klopfte, hörte ich nur ein Stöhnen. Es war ganz schrecklich. Ich habe dann schnell den Schlüssel geholt – ich habe einen Schlüssel für ihre Wohnung, falls mal die Tür zufällt.«
    »Und dann haben Sie sie gefunden.«
    »Ja.« Sie sah Mike an, und ihre Augen schienen größer zu werden. »Sie lag da, vor ihrer Couch. Sie haben sie in den Marienhof gebracht, aber man kann nicht mit ihr sprechen.«
    »Frau Franzen, ich stelle nur ein paar Fragen, dann bin ich wieder weg.«
    Sie nickte.
    »Wilfried Ramanns Vater war doch ein amerikanischer Geschäftsmann. Richard Nair. Haben Sie ihn gekannt?«
    Frau Franzen hatte sich wieder beruhigt und konnte mit klarer Stimme sprechen. »Das ist ja über vierzig Jahre her. So lange kenne ich Inge noch nicht.«
    »Aber Frau Ramanns Sohn kannten Sie?«
    »Ja, natürlich. Ich habe auch mitbekommen, wie er damals versucht hat, seinen Vater zu finden. Wissen Sie, dieser Amerikaner hat ja nie Geld für Wilfried

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