Schängels Schatten
alles in den Akten. Sie haben sie doch befragt.«
»Ach wissen Sie, die Bürokratie … Wenn Sie mir jetzt den Namen sagen, ist das alles einfacher.«
Sie legte den Finger an die Lippen und dachte nach.
»Anita«, sagte sie plötzlich.
»Was?«
Sie sah Mike an. »Anita Hoffmann. So hat sie geheißen.«
*
Als er in sein Hotel zurückkommt, ist er völlig erschöpft. Zum Glück ist der Mann an der Rezeption wieder mit Fernsehen beschäftigt.
Der alte Mann legt sich auf das Bett. Er hat das Gefühl, keine zwei Schritte mehr gehen zu können. Doch sein Geist treibt ihn an, weiterzumachen, nicht aufzugeben. Er atmet schwer. Seine Gedanken beschäftigen sich mit dem, was er als Nächstes vorhat.
Das Schwerste kommt noch, sagt eine Stimme in seinem Kopf immer wieder.
Das Schwerste kommt noch.
15
Mike platzte fast vor Unruhe, als er quälend langsam hinter einem Lkw durch die Ehrenbreitsteiner Großbaustelle zuckelte.
Was für ein Spiel hatte Anita da mit ihm gespielt? Und welche Rolle hatte sie dabei übernommen? War sie Opfer oder Täterin? Wer war sie überhaupt? Dass ihr das Lokal in der Eltzerhofstraße gehörte, stimmte offenbar. Aber war sie wirklich eine alte Schulkameradin?
Der Lkw stoppte, und Mike trommelte nervös auf dem Lenkrad herum.
Er musste sich über Anita Klarheit verschaffen.
Endlich ging es weiter, und Mike empfand es als Erlösung, als er auf die Rheinbrücke abbiegen konnte.
Er parkte in der Poststraße und ging zur nächsten Telefonzelle. Zum Glück hatte er noch etwas auf der Karte.
»Herr Dr. Lange? Hier Michael Engel.«
»Ach, Herr Engel! Na, gut nach Hause gekommen? Nett, dass Sie noch mal anrufen.«
»Ich bin noch in Koblenz.«
»Wollen Sie noch was über die Stadtgeschichte wissen? Es hat Sie gepackt, was?«
»Nein, was anderes. Vielleicht können Sie mir da helfen. Ich bin auf der Suche nach einer ehemaligen Schulkameradin. Anita Hoffmann.«
»Tut mir Leid. Der Name sagt mir nichts.«
»Wäre es vielleicht möglich, über das Sekretariat der Schule etwas herauszufinden?«
»Was wollen Sie denn wissen?«
Ob sie überhaupt an der Schule war, dachte Mike, aber er sagte: »Die Adresse oder so. Ich würde sie gern treffen.«
»Haben Sie mal im Telefonbuch nachgesehen?«
»Da steht sie nicht drin. Vielleicht hat sie jetzt auch einen anderen Namen, und vielleicht wohnt sie ja woanders. Wenn ich die alte Adresse hätte, könnte ich wenigstens ihre Eltern erreichen.«
Zum Glück kam Dr. Lange nicht auf die Idee, Mike zu raten, die Adresse der Eltern im Telefonbuch zu suchen.
»Ja, die Leute ziehen weg«, sagte er nachdenklich. »Das ist ja immer das Problem bei Jahrgangstreffen … Fragen Sie doch beim Freundeskreis der Schule. Die kümmern sich auch immer darum, wenn Ehemalige eingeladen werden.«
»Das wäre natürlich eine Möglichkeit.«
»Oder, wissen Sie was? Das kann ich auch für Sie tun. Ein Anruf beim ehemaligen Direktor Schneider, und wir wissen Bescheid.«
»Das wäre sehr nett von Ihnen. Rufen Sie mich bitte im Mercure-Hotel an, wenn Sie was rausgefunden haben.«
»Wie heißt die Frau noch mal? Anita Hoffmann?«
»Genau.«
Mike verabschiedete sich, hängte ein, probierte es noch mal bei Anita zu Hause. Wieder hob niemand ab. Mike hatte es auch nicht erwartet. Er überlegte, ob er in ihrem Lokal anrufen sollte, doch dann fiel ihm ein, dass die Eltzerhofstraße nah genug war, um dem Restaurant persönlich einen Besuch abzustatten.
Die Rhein-Eck-Stube befand sich ganz am Ende des engen Altstadtgässchens, etwas entfernt von dem Straßencaférummel, der neuerdings zwischen Görresplatz und Jesuitenplatz herrschte.
Was Anita ein Restaurant genannt hatte, war im Grunde eine Art Café, in dem man auch am Tresen sitzen konnte. Hinter der Kuchentheke stand ein Kellner und putzte Gläser.
»Sie haben heute Morgen angerufen, oder?«, sagte er, nachdem Mike ihn angesprochen hatte.
»Ist Anita mittlerweile aufgetaucht?«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Hat sie gesagt, wann sie vorbeikommt?«
Wieder Kopfschütteln und dazu ein leichtes Grinsen.
»Oder wissen Sie vielleicht, wo sie sein könnte?«
»Keine Ahnung.«
»Aber sie muss sich doch um ihren Laden kümmern«, sagte Mike, dem langsam der Geduldsfaden riss.
»Die hat andere Dinge im Kopf.« Das leichte Grinsen wurde süffisant.
Als Mike das letzte Mal im Lesesaal des Stadtarchivs gewesen war, hatte der Archivar an dem kleinen Tisch am Eingang gesessen. Jetzt war niemand zu entdecken. Nervös ging
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