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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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für Stück ging es weiter, bis er über den Rand des Vorsprungs schauen konnte.
    Eine zwanzig oder dreißig Zentimeter tiefe Stufe. Immerhin. Mike zog sich hoch. Er beschloss, von hier aus noch einmal diesen merkwürdigen Kapuzenfelsen zu inspizieren.
    »He, schaut mal da oben!«
    Die Stimme kam von unten. Mike kümmerte sich nicht darum und sah zu, dass er auf den Vorsprung kam. Erst als er das in enervierender Langsamkeit geschafft hatte, sah er nach unten.
    Dort stand eine Gruppe von Jugendlichen.
    »Na, nimmste ’ne Abkürzung?«
    »Wie ist die Luft da oben?« Gelächter ertönte.
    Mike stellte sich hin und verlor dabei fast das Gleichgewicht. Verdammt, war das hoch!
    Die Jugendlichen erwiderten seine Versuche, sich festzuhalten, mit Pfiffen und Gejohle.
    »Echt cool, der Alte.«
    Fröhlich gingen sie weiter die Straße hinunter.
    Mike stützte sich, so gut es ging, am Felsen ab und drehte sich um.
    Von hier aus war die kleine Höhle weit besser zu sehen als von unten. Sie wirkte erstaunlich regelmäßig und hatte etwa einen Durchmesser von einem halben Meter. Die Tiefe war jedoch bei weitem geringer. Es war gar keine Höhle. Eher eine Nische. Und völlig ungeeignet für ein Versteck – vor allem, wenn das Geld zwanzig Jahre lang unauffindbar bleiben sollte.
    Mike musterte den Felsen noch einmal genau. Er lag jetzt im Schatten, so dass die vielen kleinen Risse, Kanten und Einbuchtungen mit der dunkelbraunen Farbe der Wand verschmolzen. Mike war sich jedoch sicher, dass es kein anderes Versteck gab. Carola konnte auf ihrer kleinen Route von damals nur auf diese winzige Höhle gestoßen sein. Die Höhle war leer. Und das konnte nur einen Grund haben.
    Carola hatte das Geld gar nicht dort versteckt.
    *
    Um neun Uhr abends verlässt er das Hotel. Eine Dreiviertelstunde später erreicht er im Wagen die Stelle, an der er aus dem Wald gekommen ist. Es ist noch nicht dunkel genug. Bis um halb zwölf kurvt er durch die Dörfer. Einmal wagt er sogar, auf der Parallelstraße zu fahren, und passiert die Einfahrt zu dem Industriegelände, auf dem sich der zerstörte Kran befindet. Er rechnet damit, dass die Polizei die Stelle abgeriegelt hat. Aber die Straße ist frei.
    Dann will er es endlich hinter sich bringen.
    Er stellt den Wagen an der Abzweigung zu einem Feldweg ab und macht sich auf den Weg in den Wald.
    Der Hügel steht wie eine stockdunkle Wand vor ihm. Er hat eine Taschenlampe dabei, aber er will sie nicht anmachen. Noch nicht.
    Langsam tastet er sich an den Bäumen entlang. Manchmal raschelt etwas im Unterholz. Er geht weiter und zählt die Schritte.
    Als er sicher ist, an der richtigen Stelle zu sein, macht er Licht. Der Kegel erleuchtet den umgestürzten Baum. Im Schatten der riesigen Wurzel schafft der alte Mann Laub und Geäst zur Seite. Dann zieht er den Kasten aus dem Loch.
    *
    »Du meine Güte, was ist denn mit Ihnen passiert?«
    Frau Mayer sah Mike, der sich der Rezeption näherte, erschrocken an.
    Mike lächelte. »Nichts Besonderes. Ich habe nur einen kleinen Spaziergang durch die Natur gemacht.«
    Auf seinem Hemd und der weißen Hose waren bräunliche Schmutzflecken, am Ellbogen hatte er sich einen Riss im Hemd zugezogen. Der Abstieg war viel schwieriger gewesen als der Aufstieg. Als Mike endlich rutschend, kletternd, bremsend und fluchend auf dem festen Boden des Asphaltweges angekommen war, hatten seine Knie vor Anstrengung gezittert.
    Danach war er noch zwei Stunden dort unten geblieben, ab und zu beäugt von vorbeikommenden Touristen, die im frühabendlichen Licht des Sommers die Festung zu Fuß besuchen wollten.
    Anita war nicht aufgetaucht, und mit der schwindenden Helligkeit ging auch Mikes Hoffnung dahin, dass sie überhaupt kam.
    Die ganze Geschichte ist völlig unmöglich, sagte er sich. Sogar wenn er sich mit der Größe der Höhle verschätzt haben sollte und das Geld dort oben gewesen war – Carola hatte es nicht für die Ewigkeit dort deponiert, sondern um es für kurze Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Mit Sicherheit hatte sie es nicht wasserdicht verpackt. Es musste längst verfault oder sonst wie zerstört sein. Vielleicht war der Koffer auch heruntergerutscht, und es war wer weiß was mit ihm passiert.
    Als die Dunkelheit hereinbrach, hatte Mike beschlossen, aufzugeben. Was sollte er hier noch? Er hatte das Geld nicht gefunden. Er hatte diesen Nair nicht gefunden. Er hatte nicht herausgefunden, was mit dem Denkmal passiert war. Er hatte letztlich auch nicht herausgefunden, ob Anita

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