Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
Vom Netzwerk:
Ramanns und Carolas Mörder war. Sollte es so sein, hatte er keine Beweise. Bis auf eine Patrone, die vielleicht noch irgendwo in seiner Tasche steckte …
    Ein kleines Stimmchen in seinem Innern erinnerte ihn daran, dass er zumindest der Polizei einen Tipp geben musste, was Anita betraf. Ja gut, das konnte er tun.
    Morgen würde er nach Hause fahren. Oder vielleicht noch im Morgengrauen warten, ob Anita kam … Aber die war sicher über alle Berge. Er hätte es wissen müssen. Er war eben ein Verlierer.
    »Da ist übrigens eine Nachricht gekommen«, sagte Iris Mayer und nahm einen Zettel aus einem Fach.
    Sie war von Dr. Lange. Eine Anita Hoffmann hatte es an der Schule gegeben, aber die war 1980 zur Welt gekommen und hatte vor drei Jahren Abitur gemacht. Herr Dr. Lange mutmaßte, dass sich Mike bei dem Namen vertan haben könnte und dass er sich doch noch mal melden sollte, wenn er den richtigen Namen wisse. Dr. Lange habe sich sehr über das Wiedersehen gefreut, und wenn Mike wieder mal in Koblenz sei und so weiter und so weiter.
    Mike bedankte sich. Als er auf den Aufzug wartete, warf er einen Blick in die Bar. Ganz hinten am Tresen saßen ein paar Gäste, davor standen leere, samtrot bezogene Clubsessel und ein weißer Flügel. Mike wusste, was er heute noch unternehmen würde.
    Er ging nach oben, zog sich um, und kurz darauf saß er an der Hotelbar und orderte ein Königsbacher.
    Die schwarzhaarige Frau hinter der Theke zapfte sorgfältig. Während sich das Bier noch ein bisschen ausruhte, steckte sie sich eine Zigarette an.
    »Gibt’s hier jemanden, der spielt?«, fragte Mike und deutete auf den Flügel.
    »Keinen festen Pianisten. Kommt das Hotel zu teuer. Man weiß nie genau, wie stark die Bar besucht ist.« Sie schob ihm das Glas hin. »Wenn Sie spielen können, tun Sie sich keinen Zwang an. Ich kann die Hintergrundmusik ausschalten.«
    »Wunderbar«, sagte Mike, nahm sein Bier, und als er den Flügel erreicht hatte, herrschte schon Stille im Raum. Die Gäste an der Theke und die Barkeeperin sahen ihn auffordernd an.
    Mike öffnete die Klappe über der Tastatur und schlug ein paar Akkorde an. Gut gestimmt. Das Klavier reizte ihn.
    Er nippte noch mal an seinem Bier. Dann stellte er das Glas auf einem der Tische ab und begann.
    Es ging langsam mit »My Way« los, dann folgte »Yesterday«, schließlich kam er mit »The Lady is a Tramp« wieder zu Frank Sinatra zurück. Die Gäste applaudierten nach jeder Nummer. Die Barfrau brachte immer wieder frisches Bier.
    Irgendwann ertappte sich Mike dabei, wie er sein Notizbüchlein auf den Notenhalter legte und aus Anitas, Carolas und Frau Ramanns Telefonnummern ein kleines Jazzstück machte. Die Umgebung verschwand wie in einer Wolke.
    Lange ging das so. Schließlich löste er den Blick von den Tasten und sah sich um. Die Bar war leer. Die Frau kam auf ihn zu und fragte, wie lange er noch spielen wolle. Es sei zwei Uhr.
    Er erhob sich, und alles schwankte.
    »Vergessen Sie das nicht«, sagte die Frau und hielt ihm sein Notenheft hin. Er bedankte sich, hatte aber Schwierigkeiten, das zu sagen, was er sagen wollte.
    Er fand sich in seinem Zimmer wieder, wo er es gerade noch schaffte, sich auszuziehen und aufs Bett zu legen. Er schlief sofort ein und träumte lebhaft.
     
    Als er schlagartig aufschreckte, weil irgendetwas, das ihn an Carola erinnerte, plötzlich im Zimmer zu sein schien, hatte er das Gefühl, stocknüchtern zu sein.
    Er machte Licht und stand auf. Seine Kleider, die schmutzigen und die sauberen, waren im Zimmer verteilt. Die Hose mit den lehmigen Flecken hing neben dem Fernseher herunter, das Hemd war auf dem Boden neben dem Bett ausgebreitet. Die anderen Sachen – Strümpfe, Unterwäsche, die zweite Hose – bildeten ein Knäuel auf dem kleinen Sessel vor dem Fenster.
    Er sah auf die Uhr und stellte fest, dass er eine gute Stunde geschlafen hatte. Er ging ins Bad und duschte lauwarm. Als er im Zimmer die schmutzige Hose vom Tisch nahm, fiel der eng zusammengefaltete Papierkram heraus, der sich angesammelt hatte: die Ausdrucke aus dem Internet, der Zettel, der unter der Windschutzscheibe gesteckt hatte.
    Er räumte die Kleidungsstücke weg, legte die Papierblätter ordentlich neben die Schreibtischlampe und strich sie glatt. Er setzte sich hin und betrachtete zum x-ten Mal das Foto von dem Schrotthaufen, der mal ein Kaiserdenkmal gewesen war.
    Er hätte sich mehr Gedanken darüber machen müssen, wo dieses Bild aufgenommen worden war. Das war die

Weitere Kostenlose Bücher