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Schängels Schatten

Titel: Schängels Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Buslau
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erste Nachricht aufhorchen ließ.
    »Mayen. Ein Unbekannter hat gestern in der Nähe von Mayen eine Rakete abgefeuert. Das Geschoss zerstörte einen Kran auf dem Gelände einer Baustofffirma. Obwohl sich in dem angrenzenden Gebäude sechs Personen aufgehalten hatten, wurde niemand verletzt. Nähere Einzelheiten von Fred Tillmann.«
    Ein Reporter übernahm die Berichterstattung. Er erzählte etwas von einer Waffe, die von einem Einzelnen abgefeuert werden konnte, von einer Sprengkraft, die etwa ein Kilo betrug …
    »Der Schütze konnte noch nicht identifiziert werden, aber die Polizei verfolgt bereits bestimmte Spuren. So hat man einen Taxifahrer ausfindig gemacht, der kurz vor dem Ereignis einen älteren Mann fuhr. Dieser Mann, der wahrscheinlich Engländer oder Amerikaner ist, hatte einen Kontrabasskasten bei sich, in dem er unter Umständen die Waffe versteckt hatte.«
    Ein Kurzinterview wurde eingeblendet. Der Taxifahrer berichtete in breitem Koblenzer Platt, wie er sich noch gewundert habe, warum der Mann mit dem Kontrabass mitten auf dem Feld aussteigen wollte. Er habe ihn dann aber zur nächsten Ortschaft gebracht. Dort sei er ausgestiegen.
    Nun war der RPR-Reporter wieder am Zuge. Er sagte, dass der Mann mit dem Kontrabass natürlich nicht unbedingt der Täter sein müsse, dass er sich aber trotzdem bei der nächsten Polizeidienststelle melden solle. Auch jeder, der eine besondere Beobachtung gemacht oder den Mann mit dem Kontrabass gesehen habe, solle sich melden.
    Popmusik begann, und Mike stellte das Radio aus.
    Er dachte eine Weile nach. Sollte er jetzt doch zur Polizei gehen? Nickenich würde ihm das, was er ahnte, niemals abnehmen, da war er sicher. Er stieg aus und ging zum Wöllershof hinüber.
     
    »Hallo?«
    »Hallo, Miss Nair?«
    »Wer ist da bitte?«
    »Hier ist Mike Engel. Entschuldigen Sie, dass ich Sie wieder mitten in der Nacht störe.«
    »Ist schon okay. Haben Sie was über meinen Vater rausgekriegt?«
    »Nicht sehr viel, muss ich zugeben.«
    »Haben Sie mit Thomas Wood gesprochen?«
    »Er … wollte mich nicht empfangen.«
    »Dann wissen wir ja genau so viel wie vorher.«
    »Das würde ich nicht sagen.«
    »Haben Sie einen anderen Hinweis?«
    »Vielleicht.«
    Mike sah auf die Straße, wo sommerlich gekleidete Passanten vorübereilten. Die Theorie, die er sich ausgedacht hatte, wirkte in dieser harmlosen Atmosphäre geradezu lächerlich.
    »Reden Sie schon. Was für ein Hinweis ist das?«
    »Das ist nicht so einfach zu sagen.«
    »Was heißt das?«
    »Ich muss Ihnen erst ein paar Fragen stellen.«
    »Wenn es wichtig ist.«
    »Ja, das ist es. Es ist doch richtig, dass Ihr Vater sehr stolz darauf ist, das Denkmal am Deutschen Eck zerstört zu haben? Damals, im Krieg?«
    »Fangen Sie schon wieder mit dieser alten Geschichte an?«
    »Sagen Sie mir nur, ob das zutrifft.« Er spürte, dass sein Ton etwas hart geworden war. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich so insistierend frage.«
    »Es trifft zu. Er ist sehr stolz darauf.«
    »Und er hat das Gefühl, dass man ihm noch etwas schuldet. Dafür, dass er das getan hat.«
    »Das kann man so sagen, ja. Auch wenn es verrückt ist …«
    »Er glaubt das, weil er der Ansicht ist, mit diesem Abschuss den Krieg gewonnen zu haben.«
    Sie lachte gekünstelt auf. »Ich weiß nicht, ob man so weit …«
    »Nach dem Motto: Wer die wertvollsten Symbole des Gegners zerstört, der sorgt für den Sieg.«
    In der Leitung war ein paar Sekunden nichts zu hören. »Es stimmt«, sagte Deborah Nair leise. »Das habe ich sogar schon mal von ihm selbst gehört. Natürlich in einer anderen Formulierung, aber …«
    »Mein Englisch ist nicht besonders.«
    »Irgendein Staatsmann hat das mal gesagt, glaube ich.«
    Mike atmete tief ein. Jetzt kam die Hauptsache. »Besitzt Ihr Vater Teile des Denkmals?«
    »Nein.« Es klang erstaunt.
    »Wie würde Ihr Vater reagieren, wenn er wüsste, dass das Denkmal wieder auf dem Sockel steht?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Das Denkmal des Kaisers. Was würde er empfinden, wenn er das wieder aufgebaute Denkmal sähe?«
    »Ist es denn wieder aufgebaut worden?«
    »O ja, vor zehn Jahren schon.«
    »Das Denkmal, das mein Vater heruntergeschossen hat?«
    »Eine Kopie. Jemand, der sie unvorbereitet sieht, könnte sie für absolut echt halten.«
    »Hm. Ich verstehe nicht so recht, was Sie damit sagen wollen.«
    »Ganz einfach, Miss Nair. Kann es sein, dass Ihr Vater nach Koblenz gekommen ist, weil das Denkmal wieder steht? Um es sich anzusehen, zum

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