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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: I Mayer-Zach
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zurückgekommen bin.“ Er zog sich rasch um, griffzu Spachtel und Farbe und machte sich ans Werk. Paula unterstützte ihn, so gut sie konnte. Nach Mitternacht hatten sie gemeinsam das Werk vollbracht, die Farbe hielt.
    Trotz der ungewohnten körperlichen Anstrengung hatte Paula Probleme einzuschlafen. Die Leuchtreklame auf dem gegenüberliegenden Haus tauchte ihr Zimmer abwechselnd in rote und grüne Farbe. Sie lag noch lange mit offenen Augen da und ließ die Erinnerung an die letzte Nacht mit Markus immer wieder Revue passieren. Wie war es möglich, dass ein Mensch, den sie erst so kurz kannte, ihre Gedanken derart vereinnahmte?

Sechs
    1.
    Seit dem Telefongespräch mit AT Grafix hatte Paula häufiger in die Mailbox gesehen, weil sie neugierig war, ob sich doch noch jemand melden würde. Aber es gab keine Nachricht. Weder von AT Grafix noch von Markus hörte sie etwas in den nächsten Tagen.
    Die Wohnung, in der Stefan Urban zuletzt gelebt hatte, befand sich in einer alten Villa in einer Seitengasse der Hietzinger Hauptstraße in unmittelbarer Nähe von Schloss Schönbrunn. In dieser Gegend hielt sich auch die Zahl der Hundehaufen in Grenzen, was die Chance, erhobenen Hauptes durchs Leben zu schreiten, ohne in der Scheiße zu landen, erhöhte.
    Die Hausverwalterin empfing Ada und Paula beim Eingang und begleitete sie in den ersten Stock, wo sich Urbans Appartement befand. Sie musterte Ada misstrauisch. Deren ausgefranste Jeans und der fetzige orangefarbene Pullover, der unter der gefütterten Lederjacke hervorlugte, entsprachen wohl nicht ihren Vorstellungen von ordentlicher Bekleidung.
    Paula bemühte sich, mit der Hausverwalterin, die sich als Frau Wex vorstellte, ins Gespräch zu kommen, doch die gab sich sehr zurückhaltend. Sie war eine gepflegte Dame, ungefähr im Alter ihrer Mutter, doch im Gegensatz zu dieser fehlte ihr jeglicher jugendliche Esprit. Unter ihrem beigefarbenen Kaschmirmantel trug sie ein klassisch geschnittenes Hahnentritt-Kostüm, dessen Stoff auch für ein ungeübtes Auge als teuer zu erkennen war. Der Rüschenkragen der rosa Bluse war gestärkt, und ihre Füße waren erbarmungslos in elegante, aber sichtlich zu enge Pumps gezwängt. Die weißen Haare mit der leichtenLilatönung trug sie hochgesteckt. Kein Strähnchen wagte es, den perfekten Auftritt zu torpedieren.
    Urbans Appartement war geschmackvoll und gediegen eingerichtet. In der Mitte des Wohnzimmers stand ein Biedermeiertisch mit sechs dazupassenden gepolsterten Sesseln, dahinter eine auf Hochglanz polierte Kommode, an den Wänden hingen gerahmte Fotos. So wie dieser Raum war auch der Rest der gut hundert Quadratmeter großen Wohnung: helle Wände, Antiquitäten, teure Teppiche, alles geordnet und blitzblank.
    Als Paula die Frau verwundert darauf ansprach, erklärte ihr diese, dass sie nicht nur das Haus betreue, sondern auch Urbans Wohnung in Schuss halten ließ. Der Staub wurde auch noch nach seinem Tod regelmäßig gewischt, und die Fensterscheiben glänzten frisch geputzt.
    „Er war ein sehr ordentlicher Mensch, und solange nicht geklärt ist, was mit seiner Wohnung geschieht, werde ich mich darum kümmern, dass alles so bleibt, wie es immer war“, kam die strenge Auskunft.
    Nirgendwo lagen Bekleidungsstücke, Bücher oder Zeitungen. Nichts deutete darauf hin, dass hier einmal ein Mensch gelebt hatte. Alles war an seinem Platz, geordnet und sauber.
    „Können Sie uns zeigen, wo die Dunkelkammer ist?“, bat Paula.
    Die Dame sah sie groß an.
    „Herr Urban hat seine Fotos am Institut entwickelt. Wenn er hier war, wollte er sich nur entspannen. Bis auf einige Fotobände hat er nichts verwahrt, was mit seinem Beruf zu tun hatte.“
    Sie musste es wissen, denn sie kannte sicherlich jeden Winkel dieser Wohnung.
    „Einige Fotografien sehen Sie an den Wänden“, sie machte eine weit ausholende Armbewegung, „die Fotobände finden Sie hier.“
    Sie deutete auf ein Regal, in dem mehrere Fotoordner standen – auf den Millimeter nach Größe und Farbe sortiert.
    „Dürfen wir uns die einmal ansehen?“
    Paula versprach sich zwar nicht viel davon, aber in dieser sterilen Wohnung waren die Fotobände die einzigen Strohhalme, an die sie sich klammern konnten.
    „Nun, es wurde mir gesagt, dass Sie Unterlagen für eine Biografie benötigen, und daher habe ich die Berechtigung, Sie durch die Wohnung zu führen und Ihnen auch die Fotobände zu zeigen. Ich bitte aber darum, alles sorgsam zu behandeln und ordentlich an seinen Platz

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