Schärfentiefe
erkannte sie sofort. Es war Konrad Blesch. „Hallo, Herr Blesch. Schön, dass Sie anrufen. Ich habe schon mehrmals versucht, Sie zu erreichen.“
„Ich weiß. Aber ich musste für einige Tage ins Spital. Ich bin erst heute zurückgekommen. Sie wollten einige Fotos von Urban?“
„Ja, wenn das für Sie in Ordnung ist. Ich habe kaum private Fotos von Herrn Urban, die meisten zeigen ihn bei Verleihungen oder im Rahmen seiner Arbeit.“
„Verstehe. Kein Problem. Wann möchten Sie vorbeikommen? Die nächsten Tage bin ich zu Hause. Nur über Weihnachten holen mich Verwandte ab, bei denen ich die Feiertage verbringen werde.“
Paula fiel Tante Irma ein. Weihnachten, das Fest der Familie, das Fest der Liebe. Plötzlich feierten Leute, nur weil sie miteinander verwandt waren, gemeinsam ein Fest. Leute, die sich das ganze Jahr über nicht füreinander interessierten, geschweige denn Zeit miteinander verbringen wollten. Es war kein Wunder, dass es mit dem Weihnachtsfrieden nicht weit her war und da und dort die Unstimmigkeiten eskalierten. Aber man hatte dann wieder ein Jahr Zeit, sich von den weihnachtlichen Strapazen zu erholen.
„Würde es Sie stören, wenn eine Kollegin mitkäme, die ebenfalls an der Biografie arbeitet?“
„Nein, das ist schon in Ordnung.“
„Sagen wir Freitag, sechs Uhr?“
„Gut. Bis dann.“
Paula überlegte kurz. Dann fasste sie sich ein Herz.
„Herr Blesch, erinnern Sie sich noch an das Foto, das Herrn Urban, Sie und noch einen jungen Mann mit einem großen Fisch zeigt?“
„Ja, natürlich.“
„Dieses Mädchen geht mir nicht aus dem Kopf. Ich habe da irgendeine Erinnerung an sie, aber ich weiß einfach nicht, wohin ich sie tun soll. Können Sie mir sagen, wie sie hieß?“
„Ich sagte Ihnen schon, da waren immer viele Mädchen in Urbans Umfeld. Die einen wollten eine gute Partie machen, die anderen wollten am lustigen Leben teilhaben. Ich habe keine Ahnung, wer dieses Mädchen war und noch viel weniger kenne ich ihren Namen“, war seine entschiedene Antwort.
„Schade. Dann bis Freitag.“
Sie legte auf.
2.
Ada wartete vor dem Lokal. Drinnen war es überfüllt und laut und es roch nach Punsch, Glühwein und in Öl Gebackenem.
Paula gelang es in dem Wirrwarr weder, einen Kellner ausfindig zu machen, noch jemanden, der jener Gerlinde Wagner auf dem Foto ähnelte. Sie zwängten sich zu einigen Leuten an einen Tisch, und Paula war froh, dass sie sich bis auf die Bluse ausziehen konnte. Adas Wangen glühten. Sie trug einen ihrer dicken Wollpullover.
Sie hatten beide keine Lust auf ein heißes Getränk, als endlich ein Kellner bis zum Tisch vordrang. Sie bestellten kalte Cola light, und Paula nutzte die Gelegenheit, den Burschen zu bitten, Gerlinde Wagner zu ihnen zu schicken.
„Die hat heute keinen Dienst“, kam die frustrierende Antwort. Paula war sauer. „Das hätte sie auch gleich sagen können, wenn sie keine Lust auf ein Gespräch hat. Wieso die Umstände?“, maulte sie vor sich hin.
Der Kellner brachte die Colas. Im Lärm ging das Läuten von Paulas Handy unter, doch durch die Vibration bewegte es sich auf der Tischplatte. Gerade noch rechtzeitig drückte Paula auf den Übernahmeknopf.
„Frau Ender?“
„Ja?“, schrie Paula und hielt sich das andere Ohr zu.
„Gerlinde Wagner spricht. Wo sitzen Sie? Ich stehe mitten im Lokal und trage einen orangefarbenen Wollumhang.“
Paula sah sich um und in der Tat, nur wenige Meter entfernt stand die junge Liz Taylor, ungefähr Mitte zwanzig, klein und zierlich, mit dunklen, gewellten Haaren und veilchenäugig, in einen knallorangefarbenen Umhang gehüllt, und blickte suchend um sich.
Paula winkte.
„Hier sind wir“, brüllte sie teils ins Telefon, teils in den Raum. Paulas Laune war gerettet.
Die Leute in der Umgebung sahen ihren Kommunikationsversuchen interessiert zu. Gerlinde Wagner hatte sie erblickt, winkte, entledigte sich des Umhangs und quetschte sich auf die Bank. So hübsch sie war, so unvorteilhaft war ihre Kleidung: Alles hing formlos an ihr herab. Nun, da sie den orangefarbenen Umhang abgelegt hatte, saß sie schwarz in schwarz vor ihnen. Alles andere als eine selbstbewusste junge Frau, die stolz auf ihren Körper war und dessen Formen betonte.
„Bin ich froh, dass ich heute nicht hier arbeiten muss“, stellte sie fest.
„Woher hatten Sie meine Telefonnummer?“
„Sie haben mich beim letzten Mal von Ihrem Handy aus angerufen. Da habe ich die Nummer gespeichert.“
Aha. Dann hätte auch
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