Schärfentiefe
Paula die Wagner anrufen können, da deren Nummer bei den ausgehenden Anruflisten ebenfalls abgespeichert war. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Egal, jetzt war sie da.
Nach den ersten Begrüßungsfloskeln stockte die Unterhaltung.
„Wir dachten schon, dass Sie uns versetzen wollen“, begann Paula unsicher.
„Dann hätte ich mich nicht auf ein Treffen mit Ihnen eingelassen“, konterte Wagner spitz. „Nein, das ist schon in Ordnung. Sagen Sie mir, was Sie wissen möchten. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.“
Paula packte einen Block aus und zückte den Bleistift.
„Wie lange haben Sie bei Urban gearbeitet?“
„Gut eineinhalb Jahre. Er hat mich zu Beginn sehr fasziniert. Er war eine charismatische Persönlichkeit und ich habe sehr viel von ihm gelernt. Er hat mich in wichtige Geheimnisse seiner Techniken eingeweiht. Im Vorjahr haben wir unteranderem eine Jubiläumsbroschüre zusammengestellt, was für mich sehr interessant war.“ Wagner erzählte noch von weiteren beeindruckenden Projekten, die sie gemeinsam mit Urban betreut hatte, wie zum Beispiel verschiedene Ausstellungen und Buchbeiträge. Paula machte sich eifrig Notizen, um bei Bedarf Einzelheiten im Internet abrufen zu können.
„Das klingt alles sehr spannend.“
„Das war es auch.“
„Weshalb sind Sie dann weggegangen?“
Paula hatte erwartet, dass Wagner die Beantwortung der Frage unangenehm sein würde. Aber dem war nicht so.
„Ich habe im letzten Jahr entdeckt, dass es Seiten an ihm gab, die mir überhaupt nicht gefielen. Ich habe anfänglich versucht, darüber hinwegzusehen, weil mir meine Karriere als Fotografin natürlich wichtig war. Aber es gab dann irgendwann einen Punkt, da ging es einfach nicht mehr. Und dann bin ich gegangen.“
„… von einem Tag auf den anderen.“
„Von einem Tag auf den anderen“, bestätigte sie.
„Ich nehme an, Sie werden mir nicht sagen, was das für Seiten waren, über die Sie nicht hinwegsehen konnten?“, fuhr Paula fort.
„Es muss Ihnen genügen, wenn ich Ihnen sage, dass ich ihn zuletzt wirklich abstoßend fand, und es hat mich nicht gewundert, dass er wie ein Hund verendet ist. Er hat es verdient. Ach ja, und ich bin übrigens felsenfest davon überzeugt, dass Urban nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Vielmehr glaube ich, dass sich eines seiner Opfer an ihm gerächt hat. Es war den meisten bekannt, dass er nicht schwimmen konnte.“
Ada und Paula starrten sie mit offenem Mund an. Sie konnten das, was sie eben gehört hatten, nicht so schnell verarbeiten.
Ada fasste sich als Erste.
„Wollen Sie uns damit sagen, dass Urban eines unnatürlichen Todes gestorben ist, dass er von jemandem umgebracht wurde?“
„Wie ich schon sagte: Für den Moment habe ich Ihnen schon genug erzählt“, Wagner warf einen vielsagenden Blick auf die ungebetenen Zuhörer am Tisch. Dann kramte sie in der Tasche und schob Paula einen Zettel hin.
„Schauen Sie sich da mal um und machen Sie sich selbst ein Bild. Dann werden Sie beim nächsten Mal keine Schwierigkeiten haben, mir zu glauben, was ich Ihnen erzähle. Rufen Sie mich an, wenn Sie mich wieder treffen wollen. Meine Nummer haben Sie ja.“
Gerlinde Wagner erhob sich und reichte ihnen die Hand. Wenig später war sie in der Menge verschwunden. Paula und Ada blieben perplex zurück.
„Na, das war stark.“ Paula nahm den Zettel und las, was darauf stand. „Interessant. Das ist nicht die Adresse von Urbans Wohnung. Das ist woanders.“
„Sehr spannend. Wenn Santo wüsste, was für Zeitzeugen wir interviewen!“ Ada lachte auf. „Jetzt gehen wir schon auf Mörderjagd.“
„Ada bitte, nun übertreib nicht gleich. Vielleicht ist diese Wagner nicht ganz dicht im Kopf oder will sich nur wichtig machen. Wer weiß, wessen Adresse sie uns da gegeben hat. Vielleicht ist das alles nur erfunden“, versuchte Paula abzuwiegeln. Das sagte sie mit Bedacht auf jene Tischnachbarn, die ihrem Gespräch nach wie vor mit großem Interesse folgten.
Ein erfolgloses Unterfangen, denn die Aufmerksamkeit der anderen war ungebrochen.
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass die Frau sich mit uns trifft, um uns eine erfundene Geschichte zu erzählen. Ich glaube vielmehr, dass wir da in ein Wespennest gestochen haben.Schade, dass wir sie nicht zurückgehalten haben. Aber ich war so vor den Kopf gestoßen, dass ich nicht rasch genug reagiert habe. Ich glaube, die hat uns noch einiges zu erzählen.“
Paula fiel das Telefongespräch mit Blesch ein, und sie
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