Schärfentiefe
eingeschaltet? Und wo ist überhaupt dein Auto?“, knurrte Paula.
„Mein Akku ist leer. Sonst hätte ich dir Bescheid gesagt, dass ich mich verspäten würde. Leider habe ich weiter vorn geparkt und musste eine ganze Strecke zu Fuß gehen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Aber dafür habe ich etwas Nützliches mitgebracht.“
Sie grinste, zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, schlängelte sich an Paula vorbei und probierte einige Schlüssel. Beim vierten machte es klick, und die Tür sprang auf. „Treten Sie ein.“
Paula sah sich um, aber es war ohnehin keine Menschenseele zu sehen. Ada betrat das Haus und zog Paula mit sich. Sie standen in einem engen Vorraum. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie konnten einige Möbel und Regale erkennen.
„Bitte, woher hast du die Schlüssel?“
Paula konnte Adas Gesicht nicht sehen, doch sie wusste, dass sie grinste, als sie in ihre Richtung ätzte: „Nun, ich habe meine Zeit einfach besser genutzt als du. Während du hier überpünktlich herumgestanden bist und dir die Zehen abgefroren hast, habe ich noch schnell den Schlüsselbund organisiert.“
„Bei wem?“
„Bei einem Bekannten von mir. Aber frag nicht weiter. Du willst keine Details wissen, glaub mir. Komm, lass uns Schnüffler spielen.“
Ada hatte auch an eine Taschenlampe gedacht, mit der sie den Raum, in dem sie sich befanden, ausleuchtete.
„Na, dann lass uns mal hier beginnen“, und schon ging Ada zur nächstgelegenen Tür, die links von ihnen lag. Ein enger Raum mit einem Klo wurde sichtbar. Unzählige Spinnennetze hingen von den Wänden.
„Nicht sehr einladend. Da würde ich mich trotz der Kälte lieber im Freien aufhalten.“
Sie ging weiter. Als Paula ihr folgen wollte, spürte sie einen stechenden Schmerz an der rechten Wade.
„Autsch, was war das? Leuchte mal her!“
Ein spitzes Holzstück hatte sich in ihr Bein gebohrt. Eine breite Laufmasche lief von der Wade nach oben und unten, und ein blutiger Kratzer war zu sehen.
„Wirklich die passende Kleidung für unser Vorhaben!“, stellte Ada süffisant fest. Sie war wie immer bequem und heute besonders passend mit ausgewaschenen Jeans und Wollpulli bekleidet.
„Die Stöckelschuhe könnten noch etwas höher sein, damit du in der Dunkelheit besser stolperst“, kicherte sie.
„Sehr witzig. Ich hatte ein Seminar und bin nicht mehr dazu gekommen, mich umzuziehen“, rechtfertigte sich Paula gereizt. Irgendwie war das heute nicht ihr Tag. Zuerst die quälenden Juristen, dann der plötzliche Kälteeinbruch und jetzt Ada,die ihr mit solchen Sprüchen gehörig auf den Nerv ging.
Sie betraten das nächste Zimmer. Es war groß, durch Regale in mehrere Einheiten gegliedert. In einer Ecke befand sich eine wuchtige schwarze Ledergarnitur, vor der ein geschmackloser Couchtisch aus Glas mit einem Delfinbein stand. Der Kontrast dieser Einrichtung zu Urbans exklusiver Wohnung konnte nicht größer sein.
Hier war der einzige Bereich des Raums, der ein wenig Platz bot. Der Rest war angefüllt mit zahlreichen Kisten, Plastiksäcken, Mappen und Schachteln, die über- und nebeneinander gestapelt waren. Gegenüber dem Sofa standen mehrere Stative, und in einem Gestell lagen Kameras und Zubehör.
Nebenan befand sich die Kreativzelle Urbans, die Dunkelkammer. Flaschen mit chemischen Lösungsmitteln und Behälter mit Pulvern standen überall herum, auf Schnüren, die kreuz und quer gespannt waren, hingen einige Fotos. Wahrscheinlich die letzten, die Urban entwickelt hatte.
Es wäre wohl niemand, der Urbans Appartement kannte, auf den Gedanken gekommen, dass sich da und dort ein und derselbe Mensch aufgehalten hatte. Paula spürte etwas Klebriges auf ihrer Hand.
„Ada, bitte, lass uns hier verschwinden. Ich habe ein ungutes Gefühl, und diese ekelhaften Spinnennetze überall …“, quengelte sie.
Ada aber dachte nicht daran, schon zu gehen.
Sie hatte es sich auf dem staubigen Ledersofa bequem gemacht und leuchtete in eine Kiste hinein.
„Schau her, das sind ja richtige Kunstwerke.“
Sie fischte eines der Fotos aus dem Karton und hielt es Paula hin. Die hatte es aufgegeben, die Spinnweben aus ihren Haaren entfernen zu wollen, und setzte sich neben Ada. Wurde ihre Jacke eben zum Staubtuch. Jetzt war schon alles egal. Ihre Kleider waren ohnehin reif für die Putzerei.
Sie sah sich das Bild, das Ada ihr entgegenhielt, genau an. Eine Aufnahme dieser Art hatte sie noch nie gesehen.
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