Schärfentiefe
bald sechs, und wir müssen noch zu Blesch.“
„Ja, gleich. Aber sieh nur, sieht das nicht komisch aus?“
Ada griff sich noch lachend das eine oder andere bunte Kostüm, aber schließlich stopfte sie die Sachen in die Säcke zurück und klopfte, so gut es ging, den Staub aus ihrer Kleidung.
„Diese Mappe mit den Briefen, die nehmen wir mit, und diese Schachtel mit Fotos. Nur zum Anschauen. Das interessiert mich“, stellte sie klar.
„Dürfen wir das denn?“
Ada verdrehte ihre Augen.
„Wer wird uns fragen? Zumal wohl nur wenige Leute von diesem, dieser …“, ein passendes Wort wollte ihr nicht einfallen, „… von diesem ‚Fotostudio‘ wissen, und die werden sich hüten, das an die große Glocke zu hängen. Schau dich doch um, hier war seit Urbans Tod kein Mensch mehr. Warte, da möchte ich noch hineinsehen …“
Sie huschte mit der Taschenlampe zu einer Tür, die Paula erst jetzt bemerkte, weil sie mit demselben Muster tapeziert war wie der Rest des Raums.
„Na, sieh einer an“, hörte sie Ada.
Paula tastete sich langsam vor.
Dahinter befand sich ein Badezimmer, mittlerweile ebenfalls verstaubt. Ada hatte sich den Inhalt des Badezimmerschranks vorgenommen.
„Bitte greif nichts an.“ Paula wurde zunehmend nervös. So ähnlich hatte sie sich gefühlt, als einmal die kleine Sarah auf Besuch war und alles antapste.
„Ich werde mich hüten. Aber komm her, das musst du gesehen haben.“
Zuerst verstand Paula nicht, was Ada so aufregend fand, aber nach einer kurzen Einführung ihrer Freundin hatte sie nur noch einen Gedanken im Kopf: Raus hier!
Denn der Schrank entpuppte sich als Eldorado für Giftler: Haschöl, Trips und zwei Päckchen mit weißem Pulver – anzunehmen, dass Urban in dem Schrank Staubzucker aufbewahrte, erschien sogar Paula mittlerweile unwahrscheinlich. „Das erklärt die Bereitschaft der Studentinnen, wozu auch immer“, kombinierte Ada. „Wahrscheinlich hat Urban ihnen Drogen geschenkt für ein paar kleine Gegenleistungen. Oder er hat sie ihnen im weniger günstigen Fall ohne ihr Wissen verabreicht.“
„Ada, komm jetzt, bitte!“
Ada gab nach, und sie verließen das Haus, bepackt mit den Briefen und der Schachtel. Ein anthrazitfarbener BMW stand in einiger Entfernung, der zuvor noch nicht da gewesen war. Einen Moment kam es Paula so vor, als wenn sie ein kleines rotes Licht im Inneren gesehen hätte, aber als sie genauer hinschaute, war da nichts. Der Einbruch in Urbans Atelier hatte sie nervös gemacht. Zudem neigte sie zu Paranoia, was sie nicht gerne zugab.
„Meinst du, dass etwas an dieser Mordtheorie von Gerlinde Wagner dran ist?“, fragte Paula auf dem Weg zu Adas Auto, das in der entgegengesetzten Richtung zum BMW stand.
„Keine Ahnung. So wie es für mich aussieht, hat er die Angebote angenommen, die ihm gemacht wurden, und seine Modelle mit Drogen bezahlt. Was dabei alles passiert ist, wissen wir nicht. Jedenfalls sind die Fotos, die er da geschaffen hat, in gewisser Weise Kunstwerke, aber sie sind auch ganz eindeutig pornografisch. Ich würde mal sagen, wir werden der Sache weiter nachgehen. Sicher ist nur eines: Santo werden wir nichts von diesen Recherchen erzählen.“
Als Ada das Auto starten wollte, legte Paula die Hand auf ihren Unterarm. „Warte noch einen kleinen Moment.“
Ada sah sie irritiert an, aber sie kam der Bitte nach. Es dauerte keine Minute, bis der anthrazitfarbene BMW an ihrem Wagen vorbeifuhr.
3.
Sie trafen eine Viertelstunde zu spät bei Konrad Blesch ein. Er sah im Vergleich zum letzten Mal geschwächt aus, wie er da in sich zusammengesunken im Rollstuhl saß. Ihr Besuch schien jedoch eine willkommene Abwechslung für ihn zu sein, denn der Tisch war gedeckt und ein frischer Apfelstrudel, der den muffigen Geruch der Wohnung übertünchte, wartete auf sie.
„Nur herein in die gute Stube“, begrüßte er die beiden Frauen. Paula war froh, endlich ihre frierenden Zehen aufwärmen zu können.
„Tee oder Kaffee?“
Beide entschieden sich für eine heiße Tasse Tee.
„Greifen Sie nur zu“, ermunterte sie Blesch und deutete auf den Apfelstrudel. Als er mit der Teekanne hereinrollte, hatte jede von ihnen bereits ein großes Stück verdrückt. Er war warm, süß und mit Nüssen verfeinert. Genau das Richtige nach dem schmutzigen Ausflug, den sie vorhin hinter sich gebracht hatten.
„Ich habe Ihnen schon eine Auswahl an Fotos zusammengestellt“, sagte Blesch und deutete auf einen großen Briefumschlag, der auf dem Tisch
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