Schaerfer als Wasabi
Mit dem gleichmäßigen Dahinrattern der Bahn gingen seine Gedanken auf Wanderschaft und wie meistens endeten sie bei Nick. In jedem vorbeiziehenden Baum, jedem Hügel und jedem Haus sah er sein Gesicht. Es war zum verrückt werden! Warum nur benahm sich Nick ihm gegenüber so schäbig? Er konnte ein netter Kerl sein, das hatte er oft genug bewiesen, wenn er mit den anderen sprach. Eine gewisse Überheblichkeit und Arroganz hatte er manchmal schon an sich, doch dies war nur eine Mauer, eine Fassade, hinter der er irgendetwas versteckte … dessen war sich Katsuro ganz sicher.
Die Fahrt verging wie im Flug, seine Mutter und Mitsuko warteten am Bahnsteig und winkten aufgeregt.
„Du musst uns alles erzählen! Was sind das für Leute, die mit dir da wohnen? Wie ist es an der Uni?“ Nachdem er sie beide in seine Arme geschlossen hatte, wurde er mit Fragen bombardiert, und bis sie zu Hause waren, hatte er fast alle geduldig beantwortet.
„Wo ist Vater?“ Katsuro sah sich suchend um. Seine Mutter zuckte mit den Schultern und seufzte leise. „Tut mir leid, Schatz, aber er hat im Dojo noch sehr viel zu tun. Es wird wohl später werden.“
Katsuro versuchte sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, dennoch ärgerte er sich, dass sein Vater so wenig Zeit für ihn hatte. Wenn er am Wochenende zuhause war, sah er ihn höchstens ein paar Stunden. Sie aßen ohne ihn zu Abend und spielten anschließend mit Mitsuko eine Runde „Mensch ärgere dich nicht.“
Seine kleine Schwester freute sich ganz offensichtlich, dass Katsuro da war, denn sie wich nicht von seiner Seite. Ihr Verhältnis war immer schon sehr eng gewesen, obwohl sie ein Altersunterschied von elf Jahren trennte. Katsuro war Mitsukos Beschützer und Vorbild, und er liebte sie über alles.
„Mann, wann kommt denn der Papa jetzt?“, schnaubte sie kopfschüttelnd, während sie den Würfel über den Tisch rollen ließ. „Der spielt nie mit uns so was!“ Sie griff nach ihrer Spielfigur und rückte damit so vehement vier Felder vor, dass das Spielbrett hüpfte und sämtliche Figuren zu wackeln begannen.
„Ach Mitsuko, du weißt doch, dass euer Vater viel im Dojo zu tun hat. Würde er nicht so hart arbeiten, hätten wir uns dieses schöne, große Haus nicht leisten können. Und wir könnten nächsten Sommer auch nicht nach Tokio fliegen.“
„Trotzdem.“ Mitsuko verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Schnute.
„Mitsuko hat Recht, Mama.“ Katsuro strich über das rabenschwarze, dichte Haar seiner Schwester. „Ein kleines bisschen mehr Zeit für die Familie müsste doch drinnen sein, oder?“ Er zwinkerte Mitsuko zu, worauf sie ihm ein strahlendes Lächeln schenkte.
Anna seufzte und zuckte mit den Schultern.
„Vermutlich habt ihr recht, aber euer Vater war noch nie der geselligste Typ, und ihr dürft nicht vergessen, dass er in einer ganz anderen Kultur und Zeit groß geworden ist als ihr beide. Ich habe euch lockerer erzogen, als es bei vielen anderen Kindern in Japan der Fall ist, das wisst ihr. Und jetzt blast kein Trübsal, sondern passt auf – sonst schlag ich euch alle beide.“ Sie würfelte, rückte drei Felder vor und schoss Katsuros Spielfigur lachend davon.
„Heeey!“ Katsuro schnappte entrüstet nach Luft, Mitsuko klatschte und schnitt ihm eine Grimasse.
Es war fast dreiundzwanzig Uhr, Mitsuko war vor einer halben Stunde zu Bett gegangen. Katsuro und seine Mutter saßen auf den Bodenpolstern am Wohnzimmertisch.
„Mama?“
„Ja, Schatz?“
Katsuro zögerte und sah sich nervös um, bevor er weiter sprach.
„Weißt du … manchmal habe ich das Gefühl, dass Vater keine Ahnung hat, wie er mit mir umgehen soll, seit er weiß, dass ich schwul bin. Ich glaube, er ist froh, dass ich nicht hier bei euch wohne.“
Die Augen seiner Mutter weiteten sich, mit einer hastigen Bewegung legte sie die Hand auf Katsuros Arm und übte leichten Druck aus.
„Es hat ihn damals getroffen, das stimmt. Aber dein Vater liebt dich, Katsuro, vergiss das niemals!“ Ein leises Seufzen entwich ihrer Kehle. „Natürlich macht er keine Freudensprünge deswegen, aber in seiner Liebe zu dir würde das nie etwas ändern. Er würde alles für Mitsuko und dich tun. Er ist sehr beschäftigt und … kann seine Zuneigung eben nicht so zeigen, weißt du. Dein Vater wurde selbst ganz anders erzogen und kennt das nicht, dass man sich ständig umarmt und all das.“ Sie runzelte die Stirn und starrte auf die Tischplatte, dann blickte sie ihn wieder
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