Schaerfer als Wasabi
Widmung:
Für meinen Neffen Katsuro, zum 10. Geburtstag.
Für deinen Weg alles Liebe,
Dein Onkel Tobi
Nick lächelte und warf einen Blick über seine Schulter, zu Katsuro hinüber. Er hielt das Buch kurz hoch, um es ihm zu zeigen.
„Wow, das ist schon ein Weilchen her, als du das bekommen hast. Das ist der Typ, der auch in eurem Dojo abgebildet ist, oder?“
„Ja, genau“, antwortete Katsuro, während er sich einen Pullover über sein T-Shirt streifte. „Großmeister Gishin Funakoshi. Das ist seine Biografie. Tobi hat sie mir damals geschickt, und ich hab es bestimmt schon hundertmal gelesen“, sagte er stolz. „Es ist eine Ansammlung vieler Anekdoten aus seinem Lebensweg und eigentlich mehr eine Lektüre über mentale und ehrenwerte Anwendung des Karate als über alle möglichen Techniken.“
„Klingt sehr interessant. Ich würde die nächsten Tage gern mal reinlesen, wenn ich darf.“
„Natürlich, du kannst es auch mit nach München nehmen, wenn du willst.“
„Ja, das wäre cool.“ Nick stellte das Buch zurück ins Regal, als sein Blick auf eine große Muschel fiel, die als Buchstütze diente. Sie war etwas größer als eine Faust und schimmerte in sämtlichen Facetten des Regenbogens. Nick streckte die Hand aus und ließ die Finger behutsam über die glatte Oberfläche gleiten. Sie fühlte sich kühl an.
„Diese Muschel hat mir mein Großvater einige Wochen vor seinem Tod geschenkt.“ Katsuro stand plötzlich neben ihm. Er trug einen cremefarbenen Rollkragenpullover und Jeans. Behutsam nahm er die Muschel aus dem Regal und lächelte verträumt. „Opa war ein Schüler von Gishin Funakoshi und einer seiner größten Bewunderer.“
Katsuro blickte auf und sah Nick an. „Ich habe dir ja erzählt, dass Shoto der Künstlername des Meisters war. Weißt du noch, was es bedeutet?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hielt er Nick die Muschel an das Ohr.
„Schließe deine Augen.“
Nick spürte, wie sein Herz schon wieder auf und ab zu hüpfen begann. Wahrscheinlich war es ohnehin besser, wenn er Katsuro nicht sah, also schloss er rasch die Lider.
„Die meisten Menschen behaupten ja, im Inneren einer Muschel das Rauschen des Meeres hören zu können“, sagte Katsuro leise. „Aber Großvater sagte immer, es sei das Rauschen der Pinien. Shoto. Er besaß ein kleines Haus in einem Vorort von Tokio. In seinem Garten standen einige hohe Pinien. Wenn der Wind stark war, bogen sie sich in alle Himmelsrichtungen und ihr Rauschen erfüllte das gesamte Tal.“
Nick wagte nicht, sich zu bewegen, während sich das gleichmäßige, beruhigende Geräusch in seinem Kopf ausbreitete. Er konnte sie vor sich sehen, die Gipfel dieser hohen, stolzen Bäume und wie der Wind mit ihnen spielte.
„Kannst du es hören?“, wisperte Katsuro. Sein Atem strich sanft über Nicks Wange und kitzelte ihn am Ohr.
Nick schluckte hart. „Ja“, krächzte er heiser und räusperte sich. Scheiße, seine Stimme war weg. Warum empfand er die Situation als so aufregend und betörend?
„Als ich noch klein war und nicht einschlafen konnte, habe ich immer dem Pinienrauschen in der Muschel gelauscht. Es hat mich irgendwie beruhigt. Ich stellte mir vor, eine davon zu sein. Der Wind hat mich in den Schlaf geschaukelt“, erzählte Katsuro weiter. Dann herrschte Schweigen. Es war so ruhig, dass Nick befürchtete, Katsuro könne seinen hämmernden Herzschlag hören.
Als er die Augen öffnete, musterte ihn Katsuro intensiv. Ihre Blicke verschmolzen für einige Momente miteinander, bis Katsuro plötzlich einen Schritt zurücktrat und den Kopf schüttelte. „Entschuldige, ich langweile dich mit diesem albernen Zeug.“
„Nein, gar nicht“, erwiderte Nick rasch. „Das sind doch schöne Erinnerungen.“
Katsuro lächelte und stellte die Muschel zurück ins Regal.
„Gehen wir.“
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Eigentlich wollte Katsuro Nick dafür erwürgen, dass er zugestimmt hatte, seine kleine Schwester mitzuschleppen. Zugleich fand er es jedoch unheimlich süß von ihm. Vielleicht war es besser so, denn er war nicht sicher, ob seine Selbstbeherrschung standhalten würde, wenn er sich mit Nick alleine in einem dunklen Kinosaal befand. Er stellte sich vor, wie er ihn mit seinem Oberkörper in den Sitz drückte, seine Hand zwischen Nicks Beine glitt und er ihn heiß und feurig küsste.
Ja, es war definitiv besser, dass Mitsuko mitging.
Eine knappe Stunde später saßen sie mit Cola und einer XXL Tüte Popcorn im Kino und guckten „Nico das
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