Schafkopf
fragte Zimbeck und erwartete nicht, dass jemand die Frage verneinen würde.
»Normal schon«, sagte Kreuthner. »Des san ja Ehrenschulden.«
Der alte Lintinger konnte nicht anders, als Kreuthner beizupflichten. »Des hätt ma mir noch nie net g’habt, dass einer sein Solo net zahlt. Und ich bin schon lang im G’schäft.«
Der soziale Druck auf Zimbeck war enorm. Zwar hätte es nie einer gewagt, gewaltsam seinen Anspruch gegen ihn durchzusetzen. Zimbeck war allen Menschen, die er kannte, körperlich maßlos überlegen. Aber seine Spielschulden nicht zu bezahlen – wollte er mit diesem Makel wirklich durchs Leben gehen? Undenkbar. Kummeder war mittlerweile mit einem vollen Glas Bier in der Hand an den Tisch getreten und klopfte ihm auf den Rücken.
»Was ist denn jetzt mit der Susi?«, fragte er.
»Keine Ahnung. Ich hab grad andere Sorgen.« Zimbeck blickte Kummeder an und hatte eine Idee. »Was kannst’n mir leihen?«
Wenig begeistert zog Kummeder seinen Geldbeutel aus der Hose. Geld, das man Zimbeck lieh, war gewöhnlich weg. Zimbeck hasste nichts mehr, als wenn man ihn an ausstehende Schulden erinnerte. Kummeder zog dreißig Euro in Scheinen aus seinem Geldbeutel und hielt sie Zimbeck hin. Der winkte ab und sagte: »Lass stecken.«
Währenddessen schob sich, von den Männern unbemerkt, die kleine Schiebetür der Durchreiche lautlos auf. Nur ein Stück weit, so dass eine zierliche Frauenhand durch den Spalt greifen und nach der Teedose tasten konnte, die neben der Durchreiche stand. Wenige Sekunden später war das Schiebetürchen wieder halbwegs verschlossen und die Teedose nicht mehr an ihrem Platz.
Zimbeck stand mit einem Mal auf und ging hinter den Tresen. Die Blicke der anderen verfolgten ihn. Er wandte sich der Durchreiche zu und schob hektisch Dosen, Schachteln und schmutzige Gläser zur Seite. Seine Suche schien aber nicht von Erfolg gekrönt. Denn Zimbeck wurde ungehalten. »Herrgott! Des gibt’s doch net.« Er wandte sich an Kummeder. »Da war doch so a Teedosen.«
Kummeder sah Zimbeck verständnislos an und machte eine entsprechende Gebärde.
»Ja, blau war die oder rot. Mit am Kinesen drauf.«
»Ah doch, ja«, erinnerte sich Kummeder. »Die steht da.«
»Wo?«
»Ja da, wo du stehst.«
Zimbeck trat einen Schritt zur Seite, so dass Kummeder den Platz betrachten konnte, auf dem nach seinem Dafürhalten die Dose stehen sollte. Dosen standen durchaus da. Etliche sogar. Aber keine mit Chinesen drauf. Kummeder kam hinter den Tresen, um es sich genauer anzuschauen. »Ja bin ich blöd oder was? Die ist doch da grad noch gestanden.«
»Gut«, sagte Zimbeck. »Steht sie jetzt noch da?«
»Also ich seh sie nicht.«
»Ich auch net. Wo is sie dann hin?«
Kummeder betrachtete das Schiebetürchen der Durchreiche. Dort klaffte eine Lücke von gut drei Zentimetern. »Die Schiebetür da«, er legte den Zeigefinger in den Spalt, »die war grad noch zu. Vor zwei Minuten.«
»Scheiße! Die blöde Bitch, die hinterfotzige!«, entfuhr es Zimbeck, und er rannte in Richtung Hinterausgang.
Kathrin stopfte sich die vielen Scheine so gut und so schnell es ging in die Taschen ihrer Lederjacke. Susi hielt ihr einen Schlüssel hin. »Nimm’s Motorrad. Mit dem Fahrrad kommst net weit.«
Kathrin nahm den Schlüssel, umarmte ihre Freundin und drückte sie so fest an sich, dass ihr die geschwollenen Lippen weh taten. »Ich hol dich nach«, sagte sie und gab Susi trotz schmerzender Lippen einen Kuss. Im Haus hörte man Zimbeck fluchen, unmittelbar darauf schnelle Schritte.
»Hau ab!«, flüsterte Susi, und die Angst war ihr ins Gesicht geschrieben. Kathrin rannte zur Hausecke und verschwand in der Nacht. Unmittelbar darauf stand Zimbeck vor Susi, im Gefolge Kummeder.
»Wo ist des Geld?!«, schrie Zimbeck sie an.
»Was für a Geld?« Susi hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da riss ihr der Schlag den Kopf zur Seite. Ihre Wange brannte, und das linke Ohr schmerzte und war taub. Was Zimbeck jetzt auf sie einschrie, konnte sie nur noch mit dem rechten Ohr hören.
»Das Geld aus der Teedose.«
Susi schossen die Tränen in die Augen. »Das ist mein Geld. Das ist das Trinkgeld von den letzten zwei Jahren.«
»Dein Geld?!« Zimbeck war fassungslos. »Dein Geld?! Das hier ist meine Wirtschaft. Und was die Gäste hierlassen, gehört mir, verstehst? Mir!«
Susi sah ihn mit Wut und Tränen in den Augen an. Zimbeck schüttelte den Kopf. »Ich zahl ihr jeden g’schissenen Fummel, die Schuh und den ganzen
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